Author Topic: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"  (Read 45897 times)

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #60 on: 12. Oktober 2012, 13.01 Uhr »
Und da war dann noch Deine Bemerkung, Gontscharow:

Ich hoffe nun noch auf ein paar kernige Sätze eines gestandenen Philosophen zu Augustins Zeit-Theorie. ;)

Schwierig. Weil: Mit dem Thema Zeit habe ich mich nie näher philosophisch auseinandergesetzt. Im 20. Jahrhundert ist das Thema völlig von den Physikern übernommen worden, so weit ich sehe. Und bei Augustin ist mir nur aufgefallen, dass er sich dem Thema eigentlich über die grammatischen Einheiten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nähert. Und im Grunde genommen diese definiert. (Ich komme halt aus der sprachphilosophischen Ecke ...  ;D )
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Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #61 on: 14. Oktober 2012, 09.59 Uhr »
Hallo!

Kannst du das mit dem Übersetzer näher erläutern? Interessiert mich.

Puritzky sagt im Vorwort meiner Ausgabe:

"War doch gerade dieses Augustinische Gottsuchen und um Gott Kämpfen der tiefste Grund, der mich zu ihm hinzog und der mich auch bewegte, seine Bekenntnisse zu übersetzen. Der Leser, der "Meine Hölle" kennt, wird verstehen und glauben, daß ich den Augustin nicht übertragen habe, "um eine Lücke der Übersetzungsliteratur auszufüllen", sondern weil mich meine geistige Konstruktion zu ihm hindrängte und weil ich ihn infolgedessen nicht nur mit dem Kopf erfaßt habe, sondern auch mit dem Herzen."
[Wozu ich anmerken muss, dass ich keine Ahnung habe, wovon Puritzky spricht, wenn er "Meine Hölle" zitiert.]

Also schon hier eine sehr individuelle, im Grunde genommen prä-existentialistische Herangehensweise.

Grüsse

sandhofer
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Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #62 on: 14. Oktober 2012, 10.12 Uhr »
Wir sind nun definitiv weg von der Autobiografie im 12. Buch. Augustin philosophiert nur noch. Zuerst ist da dieser Urstoff, aus dem Gott gemäss der Genesis die Welt geschaffen haben soll. Augustin gesteht, dass er sich "früher" das Chaos nie formlos, sondern einfach voller hässlicher Formen gedacht habe. Wir kommen hier in die Problematik der Prima Materia. Konkreter Urstoff oder reine Potenz? Aristoteles brauchte den Begriff der prima materia in zwei verschiedenen Bedeutungen - je nachdem, ob er als Naturwissenschafter oder als Metaphysiker schrieb. Augustin, scheint mir, verwirft den konkreten Urstoff (denn der müsste ja als Stoff auch Form haben) und wendet sich als Christ nun der reinen Potenz zu. Abgesehen von der Problematik, dass Augustin hier Jüdisch-Mythologischem eine abendländisch-philosophisch-aristotelische Begrifflichkeit überzustülpen scheint: Wie weit wendet er sich nun nicht von der Wissenschaft ab (deren Nicht-Beachtung er eben noch den Manichäern vorgeworfen hat), und reiner Spekulation zu?

Jedenfalls will mir Augustin als Wegbereiter und geistiger Vater der Scholastik erscheinen. (Die die Prima Materia dann abwechslungsweise nur im aristotelisch-naturwissenschaftlichen Sinn oder dann im aristotelisch-metaphysischen Sinn genommen hat, und so auf keinen gemeinsamen Nenner kommen konnte.)
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #63 on: 21. Oktober 2012, 23.39 Uhr »
Und da war dann noch Deine Bemerkung, Gontscharow:

Ich hoffe nun noch auf ein paar kernige Sätze eines gestandenen Philosophen zu Augustins Zeit-Theorie. ;)

Schwierig...

Na ja, wenn selbst Augustin sagt:

Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht;( soliloquia)

Danke trotzdem!

Quote from: Autor: sandhofer« am: 14. Oktober 2012, 10.12 Uhr »
Wir sind nun definitiv weg von der Autobiografie im 12. Buch.

Das ist seit dem zehnten Buch schon so. Nachdem Augustin im neunten von seiner Bekehrung und vom Tod seiner Mutter berichtet hat, ist  Schluss mit Lebensbeschreibung...

Quote from: Gontscharow
… mit dem Tod Monikas reißt der biographische Faden ab,… 

Eigentlich schade, ich hätte gern etwas über sein zölibatäres Leben, seine  nordafrikanische Gemeinde, seine Bischofstätigkeit in Hippo und überhaupt über die noch relativ junge papstlose Kirche erfahren. Und das wird im dreizehnten Buch dann auch nicht anders; Thema wie in den vorangegangenen Büchern auch hier im wesentlichen :die Genesis.

Quote from: Autor: sandhofer« am: 14. Oktober 2012, 10.12 Uhr »
Jedenfalls will mir Augustin als Wegbereiter und geistiger Vater der Scholastik erscheinen.

Ja sicher und, wie ich  bei Flasch gelesen habe, und von mir aufgrund der Lektüre gut nachzuvollziehen ist, auch Wegbereiter und geistiger Vater der mittelalterlichen Mystik. Und es gibt wohl noch weitere Verbindungslinien, so u.a. zur Reformation, bei der die Augustinermönche eine gewisse Rolle spielten. Die seltsame Affinität zum Existenzialismus hatten wir schon erwähnt…

Ohne dieses Forum wäre ich, glaube ich, nie auf die Idee gekommen, den Heiligen Augustinus zu lesen. Nicht weil ich nicht interessiert gewesen wäre. Zu hohe Hemmschwelle: Alter Text, Kirchenvater. Latein! Seit ich in Literaturforen mitbekomme, mit welcher Unbefangenheit alles Mögliche in allen möglichen Übersetzungen gelesen wird, habe  ich meine philologische und sonstige Scheu über Bord geworfen. Danke.

Hat sich die Lektüre dieses alten Textes gelohnt? Ich meine ja! Wie fast immer, wenn man ein berühmtes Werk zur Hand nimmt und liest , ist man erstaunt, wie es von dem abweicht, was man darüber gehört hat. In Bezug auf die Bekenntnisse z. B. ist überall zu lesen, es handle sich um die erste Autobiographie. Es ist aber nicht so, dass hier ein Autor seine individuelle Bildungs- und Entwicklungsgeschichte vor dem interessierten Leser ausbreitet, damit müssen wir wohl noch bis ins 18. Jahrhundert warten. Augustins Lebensbeschreibung hat nur ein Ziel: Zum Lobe Gottes den Weg zu seiner Bekehrung zu beschreiben , und als die erreicht ist, bricht er seine Lebensbeschreibung  abrupt ab. Der Rest sind theologisch philosophische Betrachtungen. Auch der Titel Bekenntnisse hält nicht, was er nach landläufigem Verständnis verspricht. Auf irgendwelche Pikanterien wartet der Leser vergeblich, es ist mehr oder weniger ein Glaubens-Bekenntnis; es hat ja auch eher die Form einer Zwiesprache mit Gott, eines Gebetes, und am Ende steht: ein AMEN!

Ein Vorwurf, dem ich des öfteren begegnet bin, ist der, Augustin sei ein Finsterling, der  der heiteren Antike den Garaus gemacht habe und verantwortlich sei für die menschenverachtende Religiosität des dunklen Mittelalters. Mal abgesehen davon, dass der  Kritiker die B. wohl nicht gelesen hat: die Spätantike war alles andere als heiter und auch das andere ist unhaltbar.
Ziemlich zu Anfang der Lektüre hatte ich mal die Frage gestellt,

Quote from:  Gontscharow
...was einen intelligenten, erfolgreichen, sinnenfrohen Intellektuellen dazu bringt, sich mit Haut und Haaren einer Offenbarungsreligion zu verschreiben,  seinen Lebensstil von Grund auf zu ändern, die Askese zu wählen.

Augustins Übertritt zum Christentum passiert während einer beruflichen und privaten Krise. Ja, ich glaube, die Konversion ist eine Antwort darauf, ein Versuch, seine Probleme mit einem Streich loszuwerden. Die Lehrtätigkeit, die Auseinandersetzungen mit seinen Studenten ödeten ihn an. Sein Privatleben lief nicht eigentlich wunschgemäß auf eine bürgerliche Familiengründung zu. Die Konversion erlaubte ihm mit all dem zu brechen, aus gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen "auszusteigen“ und sich ausschließlich seinen Studien  und sich selbst zu widmen. Wer möchte das nicht? Wenn man die Bekenntnisse liest, wird einem klar, dass dieser Numidier des 4/5. Jahrhunderts eine sehr europäische Geisteshaltung vorwegnimmt, nämlich die Betonung des Subjekts!Ich, Ich, Ich tönt es  aus den Bekenntnissen. In seinen soliloquia  sagt er es ganz deutlich: Ich interessiere mich nur für Gott und die Seele . Und für sonst nichts! Seine Bekenntnisse sind Selbsterforschung, Introspektion, Erforschung des menschlichen Geistes. Dass es Gott gibt und dass er Himmel und Erde erschaffen hat etc, wird nicht hinterfragt, steht als selbstverständliche unerschütterliche Wahrheit fest. Nie käme A. auf die Idee Gott beweisen zu wollen oder seine Rolle als Schöpfergott anzuzweifeln: Credo ut intellegam und nicht umgekehrt! Gott liegt außerhalb seines Philosophierens bzw. ist nicht Ziel und Objekt seines Philosophierens. Es sind  die Strukturen, die Gehirnwindungen, das Sensorium, die Apparatur, mit der wir ihn und alles andere aufnehmen, denken und verstehen können, was ihn interessiert.  Man lese nur mal im zehnten Buch, das seitenlange Sich-Ergehen in den unendlichen Inneräumen  des menschlichen Geistes- darüber vergisst er fast Gott
und kommt zu  erstaunlichen erfahrungswissenschaftichen Erkenntnissen.

Kurz, ich glaube nicht an  Verzicht, Selbsthass und Selbstkasteiung, was ihm ja vorgeworfen wird, und sehe in ihm  keinen  selbstquälerischen Finsterling, der die heitere Antike aufgegeben hat,  ich glaube vielmehr, Augustin kam mit dem Christentum auf seine Kosten und zu dem, was er eigentlich wollte: Singledasein ohne belastende Verantwortung, Konzentration aufs Geistige und Beschäftigung mit der eigenen Seele, was durchaus etwas Hedonistisches, bestimmt aber Narzisstisches hatte...


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Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #64 on: 22. Oktober 2012, 14.54 Uhr »
Ohne dieses Forum wäre ich, glaube ich, nie auf die Idee gekommen, den Heiligen Augustinus zu lesen. Nicht weil ich nicht interessiert gewesen wäre. Zu hohe Hemmschwelle: Alter Text, Kirchenvater. Latein! Seit ich in Literaturforen mitbekomme, mit welcher Unbefangenheit alles Mögliche in allen möglichen Übersetzungen gelesen wird, habe  ich meine philologische und sonstige Scheu über Bord geworfen. Danke.

Bitte. Gerne. Immer wieder. Du hast wohl genauer und wohlwollender gelesen als ich. Irgendwie ist mir das Werk bei der Wiederlektüre unter den Fingern zerbröselt, und auf jedem Brösel war nur noch diese Selbstkasteiung zu finden. Vielleicht allerdings auch, weil Augustin ihn geschrieben hat, als er seine Bekehrung erst vor kurzem hinter sich gebracht hat?

Hat sich die Lektüre dieses alten Textes gelohnt? Ich meine ja! Wie fast immer, wenn man ein berühmtes Werk zur Hand nimmt und liest , ist man erstaunt, wie es von dem abweicht, was man darüber gehört hat. In Bezug auf die Bekenntnisse z. B. ist überall zu lesen, es handle sich um die erste Autobiographie. Es ist aber nicht so, dass hier ein Autor seine individuelle Bildungs- und Entwicklungsgeschichte vor dem interessierten Leser ausbreitet, damit müssen wir wohl noch bis ins 18. Jahrhundert warten.

Es ist ja autobiografisch genug. Vor ihm gab es ja noch gar nichts. Thukydides' Peloponnesischer Krieg ist - obwohl der Autor als General auf Athener Seite dabei war - so abgefasst, dass man davon wenig spürt. Xenophons Anabasis bringt einen kleinen Ausschnitt aus Xenophons Leben, und wieweit er da wahrheitsgetreu berichtet, haben schon Zeitgenossen in Zweifel gezogen. Was gäben wir um eine Autobiografie Platons oder Aristoteles'! Oder Jesu, quant à ça.

Aber es stimmt schon. Eine Autobiografie im heutigen Sinne ist das noch nicht ganz.

Ein Vorwurf, dem ich des öfteren begegnet bin, ist der, Augustin sei ein Finsterling, der  der heiteren Antike den Garaus gemacht habe und verantwortlich sei für die menschenverachtende Religiosität des dunklen Mittelalters. Mal abgesehen davon, dass der  Kritiker die B. wohl nicht gelesen hat: die Spätantike war alles andere als heiter und auch das andere ist unhaltbar.

Irgendeinen Sündenbock musste man ja finden ...  >:D

Augustins Übertritt zum Christentum passiert während einer beruflichen und privaten Krise.

Seine gesundheitlichen Probleme nicht zu vergessen.

Ja, ich glaube, die Konversion ist eine Antwort darauf, ein Versuch, seine Probleme mit einem Streich loszuwerden. Die Lehrtätigkeit, die Auseinandersetzungen mit seinen Studenten ödeten ihn an. Sein Privatleben lief nicht eigentlich wunschgemäß auf eine bürgerliche Familiengründung zu. Die Konversion erlaubte ihm mit all dem zu brechen, aus gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen "auszusteigen“ und sich ausschließlich seinen Studien  und sich selbst zu widmen. Wer möchte das nicht? Wenn man die Bekenntnisse liest, wird einem klar, dass dieser Numidier des 4/5. Jahrhunderts eine sehr europäische Geisteshaltung vorwegnimmt, nämlich die Betonung des Subjekts!Ich, Ich, Ich tönt es  aus den Bekenntnissen.

Also doch Autobiografie?

Man lese nur mal im zehnten Buch, das seitenlange Sich-Ergehen in den unendlichen Inneräumen  des menschlichen Geistes- darüber vergisst er fast Gott und kommt zu  erstaunlichen erfahrungswissenschaftichen Erkenntnissen.

Im Grunde genommen halt doch der erste Romantiker ...  :angel:

Kurz, ich glaube nicht an  Verzicht, Selbsthass und Selbstkasteiung, was ihm ja vorgeworfen wird, und sehe in ihm  keinen  selbstquälerischen Finsterling, der die heitere Antike aufgegeben hat,  ich glaube vielmehr, Augustin kam mit dem Christentum auf seine Kosten und zu dem, was er eigentlich wollte: Singledasein ohne belastende Verantwortung, Konzentration aufs Geistige und Beschäftigung mit der eigenen Seele, was durchaus etwas Hedonistisches, bestimmt aber Narzisstisches hatte...

Eigentlich wollte er ja nur noch nach Hause und ein Kloster gründen. Das hat er zwar auch gemacht, aber dann hatte der arme Kerl das Pech, Bischof zu werden - in einer Zeit, als das Weströmische Reich gerade auseinanderbrach und die verschiedenen germanischen Stämme Italien wie Nordafrika überfluteten. Da blieb nicht mehr viel Zeit für seine narzistische Seite. Der Mensch denkt und Gott lenkt.  >:D
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #65 on: 23. Oktober 2012, 10.11 Uhr »

Quote from: Autor: sandhofer« am: Gestern um 14:54 »
Irgendwie ist mir das Werk bei der Wiederlektüre unter den Fingern zerbröselt, und auf jedem Brösel war nur noch diese Selbstkasteiung zu finden. Vielleicht allerdings auch, weil Augustin ihn geschrieben hat, als er seine Bekehrung erst vor kurzem hinter sich gebracht hat?

Eben nicht. Zwischen seiner Taufe und der Abfassung der Bekennntnisse liegen mehr als zehn Jahre. Und damit übrigens auch jede Menge biographischer Stoff, den er seiner „Autobiographie“ vorenthält, ( klösterliches Leben, Tod des Sohnes, Aufstieg zum Bischof von Hippo), , weshalb eben auch der Schluss nahe liegt, dass es bei den Bekenntnissen nicht um die Geschichte seines Lebens, sondern „nur“ um die seiner Bekehrung geht.


Quote from: Autor: sandhofer« am: Gestern um 14:54 »
Quote from: Gontscharow
....Ich, Ich, Ich tönt es  aus den Bekenntnissen.

Also doch Autobiografie?

Nicht im Sinne von: Das bin ich, das ist  mein Leben, sondern von Intellego me intellegere -  Ich sehe mir beim Denken zu, frei übersetzt.


Quote from: Autor: sandhofer« am: Gestern um 14:54 »
Eigentlich wollte er ja nur noch nach Hause und ein Kloster gründen. Das hat er zwar auch gemacht, aber dann hatte der arme Kerl das Pech, Bischof zu werden - in einer Zeit, als das Weströmische Reich gerade auseinanderbrach und die verschiedenen germanischen Stämme Italien wie Nordafrika überfluteten. Da blieb nicht mehr viel Zeit für seine narzistische Seite.

Immerhin war er 35 Jahre lang Bischof von Hippo und die Vandalen ließen sich bis zu seinem Tod 430 Zeit mit dem Überfluten.

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #66 on: 24. Oktober 2012, 07.42 Uhr »
Hallo!

weshalb eben auch der Schluss nahe liegt, dass es bei den Bekenntnissen nicht um die Geschichte seines Lebens, sondern „nur“ um die seiner Bekehrung geht.

Ich gebe Dir natürlich Recht. Und würde sogar noch behaupten, dass er seine Bekehrung exemplarisch versteht, nicht einmal persönlich. (Die Autobiografie im heutigen Sinn verdanken wir wohl einer andern christlichen Strömung: dem Pietismus des 18. Jahrhunderts mit seiner aufs Höchstpersönliche gerichteten Glaubens- und Gewissenserforschung. Wenn ich mich recht erinnere, kamen sowohl Moritz wie Jung-Stilling aus jener Ecke. Brockes, ein Jahrhundert früher, hat seine Autobiografie noch rein nach äusseren Fakten gegliedert, wie wir heute den Lebenslauf gliedern für eine Stellenbewerbung.)

Immerhin war er 35 Jahre lang Bischof von Hippo und die Vandalen ließen sich bis zu seinem Tod 430 Zeit mit dem Überfluten.

Nun ja, die Amtsgeschäfte eines Bischofs müssen schon damals gross genug gewesen sein. Und dann war Augustin zusehends damit beschäftigt, seinen Glauben, seine Kirche, in theoretischen Schriften zu fixieren. Es war ja wohl ein Mehr-Fronten-Krieg, den er führte: gegen abweichende (christliche) Sekten, gegen die Kirche in Rom, gegen den untergehenden Weströmischen Staat, vermutlich auch gegen die Germanen. Und da ist wohl die Schilderung des Lebens eines Kirchenführers zu wenig interessant, zu wenig exemplarisch, um als Waffe im Glaubenskampf geführt werden zu können.

Grüsse

sandhofer

PS. Ich werde versuchen, im Blog auch noch was über Augustins Bekenntnisse zu schreiben.
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