Und da war dann noch Deine Bemerkung, Gontscharow:
Ich hoffe nun noch auf ein paar kernige Sätze eines gestandenen Philosophen zu Augustins Zeit-Theorie. 
Schwierig...
Na ja, wenn selbst Augustin sagt:
Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht;( soliloquia)
Danke trotzdem!
Wir sind nun definitiv weg von der Autobiografie im 12. Buch.
Das ist seit dem zehnten Buch schon so. Nachdem Augustin im neunten von seiner Bekehrung und vom Tod seiner Mutter berichtet hat, ist Schluss mit Lebensbeschreibung...
… mit dem Tod Monikas reißt der biographische Faden ab,…
Eigentlich schade, ich hätte gern etwas über sein zölibatäres Leben, seine nordafrikanische Gemeinde, seine Bischofstätigkeit in Hippo und überhaupt über die noch relativ junge papstlose Kirche erfahren. Und das wird im
dreizehnten Buch dann auch nicht anders; Thema wie in den vorangegangenen Büchern auch hier im wesentlichen :die Genesis.
Jedenfalls will mir Augustin als Wegbereiter und geistiger Vater der Scholastik erscheinen.
Ja sicher und, wie ich bei Flasch gelesen habe, und von mir aufgrund der Lektüre gut nachzuvollziehen ist, auch Wegbereiter und geistiger Vater der mittelalterlichen Mystik. Und es gibt wohl noch weitere Verbindungslinien, so u.a. zur Reformation, bei der die Augustinermönche eine gewisse Rolle spielten. Die seltsame Affinität zum Existenzialismus hatten wir schon erwähnt…
Ohne dieses Forum wäre ich, glaube ich, nie auf die Idee gekommen, den Heiligen Augustinus zu lesen. Nicht weil ich nicht interessiert gewesen wäre. Zu hohe Hemmschwelle: Alter Text, Kirchenvater. Latein! Seit ich in Literaturforen mitbekomme, mit welcher Unbefangenheit alles Mögliche in allen möglichen Übersetzungen gelesen wird, habe ich meine philologische und sonstige Scheu über Bord geworfen. Danke.
Hat sich die Lektüre dieses alten Textes gelohnt? Ich meine ja! Wie fast immer, wenn man ein berühmtes Werk zur Hand nimmt und liest , ist man erstaunt, wie es von dem abweicht, was man darüber gehört hat. In Bezug auf die
Bekenntnisse z. B. ist überall zu lesen, es handle sich um die
erste Autobiographie. Es ist aber nicht so, dass hier ein Autor seine individuelle Bildungs- und Entwicklungsgeschichte vor dem interessierten Leser ausbreitet, damit müssen wir wohl noch bis ins 18. Jahrhundert warten. Augustins Lebensbeschreibung hat nur ein Ziel: Zum Lobe Gottes den Weg zu seiner Bekehrung zu beschreiben , und als die erreicht ist, bricht er seine Lebensbeschreibung abrupt ab. Der Rest sind theologisch philosophische Betrachtungen. Auch der Titel
Bekenntnisse hält nicht, was er nach landläufigem Verständnis verspricht. Auf irgendwelche Pikanterien wartet der Leser vergeblich, es ist mehr oder weniger ein Glaubens-Bekenntnis; es hat ja auch eher die Form einer Zwiesprache mit Gott, eines Gebetes, und am Ende steht: ein AMEN!
Ein Vorwurf, dem ich des öfteren begegnet bin, ist der, Augustin sei ein Finsterling, der der heiteren Antike den Garaus gemacht habe und verantwortlich sei für die menschenverachtende Religiosität des dunklen Mittelalters. Mal abgesehen davon, dass der Kritiker die B. wohl nicht gelesen hat: die Spätantike war alles andere als heiter und auch das andere ist unhaltbar.
Ziemlich zu Anfang der Lektüre hatte ich mal die Frage gestellt,
...was einen intelligenten, erfolgreichen, sinnenfrohen Intellektuellen dazu bringt, sich mit Haut und Haaren einer Offenbarungsreligion zu verschreiben, seinen Lebensstil von Grund auf zu ändern, die Askese zu wählen.
Augustins Übertritt zum Christentum passiert während einer beruflichen und privaten Krise. Ja, ich glaube, die Konversion ist eine Antwort darauf, ein Versuch, seine Probleme mit einem Streich loszuwerden. Die Lehrtätigkeit, die Auseinandersetzungen mit seinen Studenten ödeten ihn an. Sein Privatleben lief nicht eigentlich wunschgemäß auf eine bürgerliche Familiengründung zu. Die Konversion erlaubte ihm mit all dem zu brechen, aus gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen "auszusteigen“ und sich ausschließlich seinen Studien und sich selbst zu widmen. Wer möchte das nicht? Wenn man die
Bekenntnisse liest, wird einem klar, dass dieser Numidier des 4/5. Jahrhunderts eine sehr europäische Geisteshaltung vorwegnimmt, nämlich die Betonung des Subjekts!Ich, Ich, Ich tönt es aus den Bekenntnissen. In seinen
soliloquia sagt er es ganz deutlich:
Ich interessiere mich nur für Gott und die Seele . Und für sonst nichts! Seine
Bekenntnisse sind Selbsterforschung, Introspektion, Erforschung des menschlichen Geistes. Dass es Gott gibt und dass er Himmel und Erde erschaffen hat etc, wird nicht hinterfragt, steht als selbstverständliche unerschütterliche Wahrheit fest. Nie käme A. auf die Idee Gott beweisen zu wollen oder seine Rolle als Schöpfergott anzuzweifeln:
Credo ut intellegam und nicht umgekehrt! Gott liegt außerhalb seines Philosophierens bzw. ist nicht Ziel und Objekt seines Philosophierens. Es sind die Strukturen, die Gehirnwindungen, das Sensorium, die Apparatur, mit der wir ihn und alles andere aufnehmen, denken und verstehen können, was ihn interessiert. Man lese nur mal im zehnten Buch, das seitenlange Sich-Ergehen in den unendlichen Inneräumen des menschlichen Geistes- darüber vergisst er fast Gott
und kommt zu erstaunlichen erfahrungswissenschaftichen Erkenntnissen.
Kurz, ich glaube nicht an Verzicht, Selbsthass und Selbstkasteiung, was ihm ja vorgeworfen wird, und sehe in ihm keinen selbstquälerischen Finsterling, der die heitere Antike aufgegeben hat, ich glaube vielmehr, Augustin kam mit dem Christentum auf seine Kosten und zu dem, was er eigentlich wollte: Singledasein ohne belastende Verantwortung, Konzentration aufs Geistige und Beschäftigung mit der eigenen Seele, was durchaus etwas Hedonistisches, bestimmt aber Narzisstisches hatte...
Wo alles sich durch Glück beweist
...
dienst du dem Gegenglück, dem Geist