Author Topic: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"  (Read 45896 times)

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #30 on: 23. Juli 2012, 16.51 Uhr »
"Wissenschaft" war zu Augustins Zeiten noch nicht viel mehr als Schilderung des Gesehenen. Oder dessen, wovon man gehört hatte. Insofern waren Vernunft und Glauben auch noch nicht die Gegensätze, zu denen sie durch die Aufklärung geworden sind. Ich bin da noch nicht so sicher wie Du, dass Augustin nicht noch die Vernunft dem Glauben unterordnen wird. Noch ist er nicht bekehrt. Und seine Liebe hat er bereits den (wohl auch christlich motivierten) Ansprüchen seiner Mutter untergeordnet.
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Offline orzifar

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #31 on: 23. Juli 2012, 18.41 Uhr »
Hallo,

nur ein kurzer Einwurf in bezug auf die Willensfreiheit: Augustinus nimmt diesbezüglich eine Art Mittelstellung ein zwischen absoluter Prädestination (wie im Manichäismus) und der damaligen Gegenposition des Pelagianismus, der eine Freiheit des Willens postulierte. Bei Augustinus kann man das Gute wollen, es hingegen auch zu tun ist man von der Gnade Gottes abhängig, einer Gnade, der man sich "mit seiner ganzen Seele" zuwenden muss. Er ist damit einer der ersten, die mit dem christlichen, willenstheoretischen Rad- und Purzelbaumschlagen beginnen. Turnübungen, die bis in die Neuzeit eine erkleckliche Anzahl von Toten forderten und ein Problem offenbaren, das im Grunde aporetischen Charakter hat.

lg

orzifar
Derzeitige Lektüre:

Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
John Irving: Owen Meany

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #32 on: 24. Juli 2012, 20.15 Uhr »
Allerdings ist in den ersten so 5 oder 6 Kapiteln der Bekenntnisse davon meines Dafürhaltens wenig zu merken. Da will Augustin, scheint mir, eher bekehren als philosophieren ...
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #33 on: 26. Juli 2012, 17.29 Uhr »
"Wissenschaft" war zu Augustins Zeiten noch nicht viel mehr als Schilderung des Gesehenen. Oder dessen, wovon man gehört hatte. Insofern...

Statt Wissenschaft (scientia) hätte ich auch die von Augustin im 5. Buch synonym gebrauchten Begriffe  Freie Künste (artes liberales) oder Weltweisheit (sapientia saecularis) nennen können. Er spricht hier außerdem von Weltlichem (mundana) und von dem, was sich durch Maß (mensura), Zahl (numerus) und Gewicht (pondus) bestimmen lasse. Als Instrumentarium nennt er die Sinne (sensus) und Vernunft (ratio numeris et oculis) Das alles grenzt er streng ab von der göttlichen Weisheit (sapientia divina), der Religioslehre  (doctrina religionis), der Frömmigkeit (pietas) ….
Was ich im 5. Buch der confessiones anhand der Polemik gegen die Manichäer über Augustins Verhältnis zu „Naturwissenschaft“ und Glauben herauszulesen meinte, wird durch A.C. Crombie  in seinem Buch Augustine to Galileo: The History of Science bestätigt! Aufgrund der früher als die  Confessiones verfassten Schrift „De Genesi ad Litteram“ kommt Crombie zu ähnlichen Schlüssen. Weil’s so schön ist, zitiere ich:

Quote from:  A.C.Crombie
Obwohl er selber keineswegs ein Naturforscher war, zeigen die Schriften des Augustinus doch eine hinlängliche Kenntnis der Astronomie und anderer Naturwissenschaften, die zu beherrschen er seinen Mitchristen dringend empfahl. Wenn Christen naturwissenschaftliche Fragen diskutierten, die Gestalt und Bewegung der Himmel oder die Erde, die Elemente, die Natur der Tiere, Pflanzen und Mineralien, sollten sie ganz besonders darauf achten, dass sie nicht die Grundlehren der Religion dadurch aufs Spiel setzten, dass sie sich bei absurden Behauptungen in Fragen, für die allein die Naturwissenschaft zuständig sei, auf das angebliche Zeugnis christlicher Schriften beriefen (genau, was die Manichäer taten! Anm. von mir). Natürlich freute sich Augustinus, wenn er Aussagen der Heiligen Schrift durch die Naturwissenschaft bestätigt fand; aber er war streng bemüht, die Heilige Schrift durch Beobachtung und Vernuft vor möglichen falschen Auslegungen zu schützen und ohne Voreingenommenheit rein naturwissenschaftliche Fragen der naturwissenschaftlichen Untersuchung zu übergeben.

In einem meiner vorherigen posts stellte ich in diesem Zusammenhang folgende Frage:


Quote from: Autor: Gontscharow« am: 17. Juli 2012, 09.33 Uhr »
Was wenn Galileo Galilei sich auf den Kirchenvater Augustin berufen hätte?

Er hat!! Galileo hat sich tatsächlich auf  Augustin  berufen und sich bei ihm in der Hoffnung auf seine Autorität als Kirchenvater argumentative Schützenhilfe gegen die kirchlichen Hardliner geholt. Ich zitiere weiter nach Crombie:

Quote from:  A.C.Crombie
In De Genesi ad Litterarum, Buch 1, Kap.18, schrieb er:" Wenn wir beim Lesen der Heiligen Schrift auf Punkte stoßen, die im Lichte des Glaubens, von dem wir ganz durchdrungen sind, auf verschiedene Weise gedeutet werden können, dann dürfen wir uns nicht so eigensinnig an eine bestimmte Auslegung klammern, daß, wenn vielleicht eines Tages die Wahrheit gründlicher erforscht ist, diese Auslegung mit Recht zu Fall kommt, und wir mit ihr“. Diesen Satz hat Galilei zitiert, als er seine Zeitgenossen eindringlich ermahnte, sich ebenso zu verhalten…

Ist das nicht abgesehen von allem anderen auch von geradezu prophetischem Scharfsinn? Im 5. Buch der confessiones warnt A. schon in Bezug auf die Manichäer: Niemand verlange, dass sie sich in Astronomie etc. auskennten (genausowenig wie das für seine christlichen Mitbrüder der Fall sei), das würde am Wahrheitsgehalt ihrer Glaubensinhalte nichts ändern, wenn sie aber falsche Behauptungen bezüglich der Natur zu Glaubenssätzen machten, so zeige das, dass auch ihr Glauben falsch sei und sie könnten einpacken.

Spätestens der Fall Galilei war doch das Ende der Glaubwürdigkeit der kath. Kirche...



Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #34 on: 26. Juli 2012, 19.52 Uhr »
Danke für den Galileo - das wusste ich nicht.

In einem meiner vorherigen posts stellte ich in diesem Zusammenhang folgende Frage:

Quote from: Autor: Gontscharow« am: 17. Juli 2012, 09.33 Uhr »
Was wenn Galileo Galilei sich auf den Kirchenvater Augustin berufen hätte?

Er hat!! Galileo hat sich tatsächlich auf  Augustin  berufen und sich bei ihm in der Hoffnung auf seine Autorität als Kirchenvater argumentative Schützenhilfe gegen die kirchlichen Hardliner geholt.

Leider war Augistins Autorität zu Galileos Zeiten schon ziemlich dahin. Auch den freien Willen hat man nicht nach Augustin definiert. Ausser, man war Calvinist ...

Spätestens der Fall Galilei war doch das Ende der Glaubwürdigkeit der kath. Kirche...

Sag das mal dem Papst ...  >:D
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #35 on: 26. Juli 2012, 21.58 Uhr »


Spätestens der Fall Galilei war doch das Ende der Glaubwürdigkeit der kath. Kirche...

Sag das mal dem Papst ...  >:D

Er weiß es! Sonst würde er nicht  so verlegen lächeln, als würde er um Entschuldigung bitten.

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #36 on: 28. Juli 2012, 21.10 Uhr »
Unterdessen habe ich das berühmte "Tolle et lege!" erreicht. Worauf er hingeht und die Bibel aufschlägt. Sie wird dann allerdings von ihm benutzt, wie irgend ein Orakel des Altertums. Man lese und man interpretiere nach gusto ... So viel zum Thema "Vernunft vor Glaube" ...
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Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #37 on: 30. Juli 2012, 06.57 Uhr »
Hallo!

Ich bin jetzt dann eine Woche weg - mit nur beschränktem Internetzugang. Und noch beschränkterem Willen, den zu nutzen  ;) . Den Augustin nehme ich nicht mit. Ich hoffe, dass er dann nach den Ferien, wenn seine Bekehrung sich etwas gesetzt hat, weniger Sünden zu beichten hat. Und ich habe mir vorgenommen, selbst wenn der konträre Fall einträte, nicht mehr über sein Lamentieren zu lamentieren. Nützt ja eh nichts, er hört es nicht mehr ...

Grüsse

sandhofer
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #38 on: 02. August 2012, 16.34 Uhr »


Ich bin jetzt dann eine Woche weg - mit nur beschränktem Internetzugang. Und noch beschränkterem Willen, den zu nutzen  ;) . Den Augustin nehme ich nicht mit. Ich hoffe, dass...

Das trifft sich ganz ausgezeichnet. Auch ich bin anderweitig beschäftigt - sogar bis zum 11.08.
Ich wünsche uns  eine erholsame Augustin-freie Zeit!

 :ciao:

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #39 on: 03. August 2012, 21.00 Uhr »
Gut. Dann gönne ich mir (und Augustin) auch noch ein wenig mehr Ruhe ...  :angel:
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #40 on: 11. August 2012, 22.39 Uhr »

Unterdessen habe ich das berühmte "Tolle et lege!" erreicht.

Noch ist der 11.08. Es kann also weitergehen. ;) Ich habe zum Tolle et lege-Erlebnis aufgeschlossen. Es befindet sich doch erst im 8. Kapitel und nicht, wie ich irgendwo gelesen habe, im siebten. Wenn man sich nicht von allem selbst überzeugt….
Du möchtest also das siebte und achte Kapitel kommentarlos übergehen? Dabei  geht es in ihnen vor allem um Philosophie, den  Neuplatonismus und Plotins idealistischen Monismus… Augustin scheint über die Philosophie zum Christentum zu kommen! Das  Bekehrungserlebnis ist ein Zugeständnis ans Genre, etwas fürs Volk?

Und ich habe mir vorgenommen, nicht mehr über sein Lamentieren zu lamentieren. Nützt ja eh nichts, er hört es nicht mehr ...

Prima. Auch ich habe mir vorgenommen, ihn noch unvoreingenommener ;D zu sehen, um mit einem Historiker aus Doderers Dämonen zu sprechen: die Dinge vom Anfang und nicht vom Ende her zu betrachten. Spannend ist ja, was einen intelligenten, erfolgreichen, sinnenfrohen Intellektuellen dazu bringt, sich mit Haut und Haaren einer Offenbarungsreligion zu verschreiben,  seinen Lebensstil von Grund auf zu ändern, die Askese zu wählen. Wir sehen einem Menschen beim Eingang in die selbstverschuldete Unmündigkeit zu, ja, nur für ihn war es wohl eher das Gegenteil: Aufbruch zu etwas radikal Neuem, Emanzipierung von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen, einer weitgehend inhaltslosen Kultur mit abgedroschenen Theorien und religiösen Kulten etc. Im achten Buch wird Antonius (der mit den Versuchungen) erwähnt , dessen Biographie wohl gerade im Umlauf war und von dessen „Aussteigertum“ und „Spiritualität“ Augustin fasziniert zu sein schien ….

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #41 on: 12. August 2012, 19.41 Uhr »
Du möchtest also das siebte und achte Kapitel kommentarlos übergehen? Dabei  geht es in ihnen vor allem um Philosophie, den  Neuplatonismus und Plotins idealistischen Monismus…

Ich habe gerade nochmal darin geblättert. Ich fürchte langsam, mein Übersetzer hat so einiges weggelassen - jedenfalls habe ich nichts philosophisch Interessantes gefunden. Aber wenn Du mir auf die Sprünge hilfst? Vielleicht ist auch nur der Wortschatz meines Übersetzers ein völlig anderer.

Im übrigen habe ich Buch 9 gelesen. Augustin legt seine Professur nieder (wie wir heute sagen würden) und reist mit seiner Mutter und seinem Sohn zurück nach Afrika. Kaum dort gelandet, stirbt Monica. Augustin muss sich das Weinen verklemmen, weil sonst das Volk denken könnte, er weine, weil er seine Mutter verloren habe, wo sie doch nun bei Gott und damit im absoluten Glück ist, das auch auf ihn wartet. Erst spät - und allein - wird er dann weinen.

Tatsächlich ist mit seiner Bekehrung das immerwährende Lamentieren über seine Sünden verschwunden. Überflüssig geworden wohl. Augustin liest sich nun wesentlich leichter, auch wenn seine Skrupel das Weinen um die Mutter betreffend, merkwürdig berühren.

Spannend ist ja, was einen intelligenten, erfolgreichen, sinnenfrohen Intellektuellen dazu bringt, sich mit Haut und Haaren einer Offenbarungsreligion zu verschreiben,  seinen Lebensstil von Grund auf zu ändern, die Askese zu wählen. Wir sehen einem Menschen beim Eingang in die selbstverschuldete Unmündigkeit zu, ja, nur für ihn war es wohl eher das Gegenteil: Aufbruch zu etwas radikal Neuem, Emanzipierung von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen, einer weitgehend inhaltslosen Kultur mit abgedroschenen Theorien und religiösen Kulten etc.

So betrachtet: Ja.
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #42 on: 12. August 2012, 22.00 Uhr »
Im übrigen habe ich Buch 9 gelesen. Augustin legt seine Professur nieder (wie wir heute sagen würden) und reist mit seiner Mutter und seinem Sohn zurück nach Afrika. Kaum dort gelandet, stirbt Monica.

Dein Text scheint ja wirklich so einige Eigenheiten aufzuweisen. Habe das 9. Buch noch nicht gelesen, bin aber ziemlich sicher, dass Monika noch in Italien gestorben und auf ihren Wunsch auch dort begraben wurde.
Die heilige Monika von Tagaste (* um 332 in Tagaste in Numidien; † Oktober 387 in Ostia) ist die Mutter des hl. Augustinus. Sie liegt in der Kirche Sant’Agostino zu Rom begraben.( Wiki) :angel:

Offline sandhofer

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #43 on: 13. August 2012, 07.47 Uhr »
Ostia. Ja. Das ist noch in Italien? Da habe ich wohl flüchtig gelesen. Ich meinte, Augustin habe was von der vollendeten Überfahrt geschrieben. Geografie ist meine Stärke nicht.
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Offline Gontscharow

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Re: "Die Bekenntnisse des Heiligen Augustin"
« Reply #44 on: 16. August 2012, 00.44 Uhr »
Quote from: Autor: sandhofer« am: 12. August 2012, 19.41 Uhr »
...jedenfalls habe ich nichts philosophisch Interessantes gefunden. Aber wenn Du mir auf die Sprünge hilfst?

Nur ein Beispiel: VII, Kap.13 und 14! Der Einfachheit halber zitiere ich Flasch, den Kommentator meiner Ausgabe: Augustin erzählt seine intellektuelle Entwicklung, indem er Nähe und Abstand zwischen neuplatonischer Philosophie und neutestamentlicher Logoslehre untersucht….….

Das neunte Buch hat  A. zum großen Teil seiner Mutter gewidmet und mit ihrer Lebensbeschreibung den Grundstein zu ihrer Heiligen-Legendenbildung gelegt (vgl.  Artikel im Heiligenlexikon, der fast ausschließlich auf das neunte Buch der confessiones zurückgeht). Ziemlich unerträglich zu lesen: Augustins Hymne auf ihre Unterwürfigkeit als Tochter, Ehefrau und Mutter und sein Loblied auf Erziehungsmethoden  aus dem Repertoire der schwarzen Pädagogik, wie wir das schon im ersten oder zweiten Buch hatten. Die Unterordnung seiner Mutter unter die gestrenge Erzieherin im Elternhaus, den jähzornigen, viel zu alten und dazu noch untreuen Ehemann und die misstrauische Schwiegermutter wird als beispielhaft hingestellt. Und gerade durch ihr stummes Erdulden, ihre Machtlosigkeit gewinnt sie im Endeffekt Macht und Einfluss, bekehrt sich ihr Mann doch noch zum Christentum, wird sie zur Ratgeberin und Friedensstifterin bei Ehestreitigkeiten etc. Bei aller Idealisierung und Stilisierung Monikas zum Muster der christlichen Frau erlaubt die Darstellung Augustins doch auch einen realistischen Einblick in die Lebensbedingungen der Frauen in der römischen Spätantike (mit allen Rechten ausgestattete, prügelnde Ehemänner inklusive).
In den Kapiteln 24 und 25 des neunten Buches gibt A. ein Gespräch mit seiner Mutter kurz vor deren Tod wieder, in dem sie sich gedanklich dem Begriff der Ewigkeit annähern. Besonders die lange, fast über eine Seite gehende Satzperiode von aneinandergereihten Konditionalsätzen in IX,26, einer Art Crescendo, bei deren Lesen man den Atem anhält und auf die Erlösung des Hauptsatzes wartet, der dann auch  einen „Augenblick der Einsicht, der (wie) die Ewigkeit ist“, wiedergibt, vermittelt einmal einen Eindruck von Augustins Formulierungskünsten, das ‚Unsagbare’ betreffend, als auch die große Verbundenheit von Mutter und Sohn, die sich gemeinsam auf diese meditative Reise begeben. Schön, dass  Flasch, der sich sonst mit dem Kommentieren sehr zurückhält, die Relevanz dieser Textstelle bestätigt : Augustin spielt zuletzt an auf Matthäus 25,21 , doch ist der Aufstieg insgesamt neuplatonisch konzipiert. Die Stelle gab Anlass zu Erörterungen der augustinischen Mystik und Ekstase sowie über sein Verhältnis zu Plotin.
Angesichts des oben erwähnten Gesprächs Augustins mit Monika, das am Fenster mit Blick aufs Meer und den Himmel (das wird ausdrücklich erwähnt) in Ostia stattfand, ist mir nun auch klar, wie  Ratzinger zu seiner Äußerung über Augustin kommt, die ich irgendwo gelesen habe:
Für uns ist Augustinus selbst gleichsam zu einem Fenster geworden, durch das wir hinausschauen auf das Ewige. :angel:

Interessant im 9.Buch fand ich auch, dass A. seinen Beruf nicht nur aufgibt, weil er zum Christentum übergetreten ist und sich nun Gott widmen will, sondern auch, weil er tiefe Zweifel an seiner Tätigkeit (Wörterverkäufer, Lügenstuhl) hat, ausgebrannt und durch seinen „schweren Beruf“ überfordert und krank ist…

Habe mit dem zehnten Buch angefangen. Verspricht interessant zu werden.