Hallo!
Der interessantere Teil der Weltentstehung lag hinter mir, das Folgende über den Aufbau des Körpers, dessen Funktionen und Krankheiten sowie die der Seele entbehren nicht eines gehörigen Maßes an Kuriosität. Was diese, eher empirischen Bereiche anlangt, wurde mit Aristoteles ein Sprung gemacht, der mir in dieser Größenordnung erst beim Lesen des Timaios wieder bewusst wurde. Platon erachtet es - entsprechend seiner idealistischen Philosophie - nicht für notwendig, sich mit empirischen Dingen zu beschäftigen, ergeht sich aber dennoch in Spekulationen über diese irdische Welt (erwähnt aber auch, dass all dies nur "Wahrscheinlichkeit" beanspruchen dürfe (72e), was angesichts seiner Theorie wie eine vorbeugende Entschuldigung klingt).
Die Empfindungen werden auf den Aufbau der Dreiecke zurückgeführt (es wird kein Versuch einer erkenntnistheoretischen Aufarbeitung gemacht): So wird Schärfe durch spitze Dreiecke hervorgebracht, herber Geschmack ist durch Raues, süßer durch Glattes verursacht, Härte wird mit der Erde verbunden (weil der die Erde konstituierende Kubus die stabilste Grundfläche besitzt), die hohen Töne bewegen sich schneller, die tiefen langsamer - und die Farbentheorie ist ein einzige Seltsamkeit.
Der Körper besitzt zwei bzw. drei Seelen, wobei die Vernunftseele im Kopf angesiedelt ist und mit der Göttlichkeit am ehesten assoziiert werden kann. Interessant ist später die Krankheitstheorie der Seele (weil modern anmutend): Wahnsinn und Unwissenheit sind die Ursachen, niemand aber ist freiwillig schlecht, sondern wird entweder durch Krankheit oder aber durch Erziehung und Umwelt zur Schlechtigkeit gebracht. Der Vernunftseele wird Priorität eingeräumt: Sie solle man pflegen und fördern, damit man der göttlichen Gedanken teilhaftig werde, während jene Seele, die zwischen Nabel und Zwerchfell angesiedelt ist, für die körperlichen Belange zuständig und insofern "niedriger" einzustufen ist (ein Konzept, das sich für das Christentum als geeignet zeigt).
Die Beschreibung des Körperaufbaus bzw. der Körperfunktionen ist höchst abenteuerlich: Hier wird in freiem Assoziieren vor sich hin spekuliert (immer im Gegensatz zu Aristoteles, der nur wenig später diesen Bereichen sehr viel mehr Aufmerksamkeit, vor allem aber Forschung gewidmet hat). Dennoch scheint es wichtig, dass sämtliche - wenn auch abstruse - Zuschreibungen an die einzelnen Organe und Körperteile im Grunde Erklärungscharakter haben, sie rekurrieren nicht (oder nur mittelbar) auf Numinoses, sondern betonen einen pragmatischen (bzw. teleologischen) Aspekt des Körperaufbaus. Der Kardinalfehler Platons besteht darin, dass er auf empirische Beweisbarkeit verzichtet, was natürlich durch seine Ideenlehre begründet wird: Die erschaffene, den Sinnen zugängige Welt lohnt eine solche Untersuchung nicht. Deshalb sind diese Spekulationen für ihn legitim.
Bezüglich der Krankheiten ist Platon der Meinung, dass eine ungehörige Vermischung der Elemente die Ursache darstellen: Im Grunde referiert er - mit kleinen Veränderungen - die Viersäftelehre (wobei er die Lymphe statt der gelben Galle erwähnt). Auch hier werden "wunderbare" Einwirkungen außen vor gelassen: Möchte man angesichts der Theorie sich zwar von keinem Arzte platonischer Prägung behandeln lassen, so sind es doch zumindest theoretische Erklärungen (ohne Wunderglauben), die er den Krankheiten zugrunde legt. Und er trifft auch manchmal ins Schwarze, so, wenn er das Fieber als eine Art Heilmittel, nicht als Krankheit selbst bezeichnet.
Ganz zum Schluss noch zur Entstehung der Frauen: Sie waren in ihrem ersten Leben feige Männer, die dann eben als Frauen wiedergeboren wurden. Dadurch kommt es zur Ausbildung der Sexualität, wobei diese ausgelebt werden müsse, um nicht zu Frustrationen (Verstopfungen im Körper) zu führen. Das klingt ein wenig nach Freud und dessen Ansichten über die Hysterie.
Der (für mich) interessanteste Teil war eindeutig jener über die kosmologischen und kosmogonischen Bereiche. So etwa die Tatsache, dass Platon niemals Demokrit erwähnt, obwohl er ganz eindeutig sich mit dessen Lehre auseinandersetzt und den Abderiten auch sicherlich gekannt haben wird. Denkschulen scheinen auch vor 2500 Jahren nicht anders funktioniert zu haben als in der Gegenwart

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Du hast natürlich Recht, Sandhofer: Eigentlich müssten wir uns nun den Kritias vornehmen (der denn auch sehr viel interessanter zu lesen sein wird), weil dort der Aufbau eines idealen Staates beschrieben wird. Ich wäre dazu bereit, vor allem weil dieses Stück auch sehr viel kürzer ist. Gegen eine kurze Pause hätte ich aber nichts einzuwenden.
lg
orzifar