Author Topic: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks  (Read 6592 times)

Offline orzifar

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Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks
« on: 16. Juli 2009, 00.11 Uhr »
Hallo!

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Vargas Llosa beherrscht sein Metier wie kaum ein anderer, sein Spiel mit Erzählebenen, Zeitsprüngen, Verschachtelungen ist von ebensolcher Leichtigkeit wie Perfektion. Manchmal wirkt dieses so sichere Handhaben stilistischer Mittel fast beunruhigend, steril, aber man vermag sich dem Bann des brillianten Spannungsaufbaus, der untadeligen Konzeption nicht zu entziehen.

So auch in diesem Buch, das mit der Diktatur der Trujillo-Ära zwischen 1930 und 1961 in der Dominikanischen Republik abrechnet. 35 Jahre nach Ende dieser Diktatur fährt Urania Cabral erstmals wieder in ihr Heimatland, 35 Jahre, in denen sie keinen Kontakt zu ihrer Familie, zum mittlerweile schwerkranken Vater unterhielt - aus Gründen, die von Llosa langsam und vorsichtig ans Tageslicht gebracht werden. Ihr Leben ist mit der Trujillo-Diktatur aufs Engste verbunden, mit jenem brutalen, selbstgefälligen Herrscher, der über Jahrzehnte von den USA und der katholischen Kirche hofiert wurde und lange als der Inbegriff eines antikommunistischen Bollwerks in der Karibik verstanden wurde. Urania besucht ihren durch einen Gehirnschlag gelähmten, des Sprechens unfähigen Vater, ihre Tanten und Cousinen und enthüllt langsam die Gründe ihres Schweigens und beleuchtet durch ihr persönliches Schicksal einen Aspekt des menschenverachtenden Diktators.

Die beiden anderen Erzählebenen sind im Jahre 1961 angesiedelt, dem Tage des Anschlages auf Trujillo. In Rückblicken wird das Leben der an der Straße auf die Staatslimousine wartenden Attentäter geschildert, ihre Motivationen, Verzweiflungen, Verstrickungen in das Terrorregime, ihre langsam sich entwickelnde oppositionelle Gesinnung, der Entschluss zum Tyrannemord. Parallel dazu wird der letzte Tag des Diktators erzählt, seine Ängste, Selbstgefälligkeiten, die ihn zur Verzweiflung treibende Inkontinenz, die Angst vor sexuellem Versagen. Vargas Llosa erliegt nicht der Versuchung, einen bloß machtgierigen, blutrünstigen Tyrannen zu schildern, eine Personifizierung des Bösen, sondern gibt eine differenzierte, psychologisch wohldurchdachte Darstellung des Machtmenschen, seiner Schwächen und Eitelkeiten, ohne dadurch ein beschönigendes Bild Trujillos zu entwerfen. Im Gegenteil - gerade durch diese sehr menschliche Darstellung moralischer Abgründe wird dieses Böse greifbar, keine entrückte Bestialität, sondern die in das ganz normale Leben eingebettete Ungeheuerlichkeit. Über weite Strecken erinnern diese Passagen an Solschenizyns "Im ersten Kreis der Hölle", an das Kapitel über den alternden, besessenen Stalin, seine Einsamkeit, Paranoia. Der Diktator als einer von vielen, aber als jemand, dem durch Zufall und Ehrgeiz die Möglichkeit zu Folter und vielfachem Morden gegeben wurde.

Trujillo als der "Vater des Vaterlandes" lässt in manchem an Hitler denken. Die Faszination des Herrschers auf seine Untergebenen, die ihn zu einem gottgleichen Wesen erheben, ihre unbedingte Verehrung, die Gewissheit, dass er, der Führer dieses Landes nicht fehlen kann. Und neben diesen Bewunderern die Intriganten und Leisetreter, immer vorsichtig, immer auf der Hut, stets den eigenen Vorteil im Auge. Der von Trujillo eingesetzte Marionettenpräsident Balaguer, dem ebenfalls ein in der Ich-Form erzähltes Kapitel gewidmet ist, stellt den Prototyp des Mitläufers dar, der die Gunst der Stunde nutzt und sich schließlich (mit Hilfe der Amerikaner) fast drei Jahrzehnte mit Unterbrechungen an der Macht hält. Noch 1994 zum Präsidenten gewählt ist er bis zu seinem Tod (2002) ein politischer Machtfaktor, der trotz der Tatsache, in der gesamten Trujillo-Ära dem Regime gedient zu haben, sich in hohen politischen Ämtern behaupten kann.

Dies ist - wie schon "Der Krieg am Ende der Welt" ein historischer Roman, eigentlich ein Genre, mit dem ich mich nie wirklich anfreunden konnte. Vargas Llosa aber macht mehr daraus, keine Verklärung, keine Verdammung; ein Referieren von Grausamkeiten und Abstrusitäten, die trotz aller romanhafter Ausgestaltung ein Maß an Plausibilität erhalten, die Werke der Historie ob ihrer den tatsächlichen Quellen geschuldeten Wahrhaftigkeit nicht zu erreichen vermögen. Mit der teilweisen Fiktionalität ist die nicht unbeträchtliche Gefahr der Einseitigkeit, Parteilichkeit verbunden; eine Gefahr, der Llosa nirgends erliegt. Wenngleich ich den Roman über den Aufstand von Canudos höher schätze, ist dem Autor auch hier ein großartiges Werk gelungen, das aller Wahrscheinlichkeit nach mehr zur Kenntnis der Geschichte der Dominkanischen Republik beigetragen hat als alle Geschichtsbücher. Lesen!

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Liebe Grüße

orzifar
Derzeitige Lektüre:

Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
John Irving: Owen Meany

Offline valentino

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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks
« Reply #1 on: 21. April 2015, 16.05 Uhr »
Hallo,

ich hab’ das Buch ähnlich gelesen, allerdings ist es für meinen Geschmack eher ein Thriller als ein historischer Roman. Meine Eindrücke könnt ihr hier nachlesen:

https://vnicornis.wordpress.com/2015/04/21/verstorung-und-faszination-mario-vargas-llosa-das-fest-des-ziegenbocks-rezension/

Gruß,
Valentino

Offline sandhofer

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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks
« Reply #2 on: 21. April 2015, 21.18 Uhr »
Hallo valentino!

Das ist jetzt Dein zweiter Beitrag hier, und in beiden Beiträgen hast Du nicht viel mehr gemacht, als auf Dein eigenes Blog zu verlinken. Nur mit solchen Beiträgen wirst Du dir hier nicht viele Freunde machen, und viele Zugriffe wirst Du auch nicht generieren. Vielleicht mal ein Beitrag ganz ohne Link auf das Blog, ein Beitrag eventuell, der zu einer Diskussion führen könnte?

Grüsse

sandhofer
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus