Author Topic: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane  (Read 22065 times)

Offline Camenzind

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #15 on: 29. Juni 2015, 16.55 Uhr »
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Ist das dieser Film hier
Da "Effi hingegen wird – anders als bei Fontane – ihre Konsequenzen ziehen und den Schritt in ein neues Leben wagen..." im verlinkten Text zu lesen ist, wird er es vermutlich wohl sein ...

Offline orzifar

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #16 on: 23. Juli 2015, 23.48 Uhr »
Hallo!

Diesmal Cécile. Eine sehr gelungene Erzählung über ein "gefallenes" Mädchen, dessen Vergangenheit ihrem Verehrer zu Ohren kommt und der sein Verhalten von höflicher Zurückhaltung in aggresive Werbung abändert. Aber wie in vielen anderen Romanen Fontanes ist auch hier der Weg das Ziel: Die großartigen Dialoge, die psychologisch feine Zeichnung des Kavaliers Gordon, der im Grunde so gar nicht weiß, was er mit dieser seiner Verliebtheit machen soll: Denn sie ist - wie immer man es dreht und wendet - in jedem Fall zum Scheitern verurteilt. Ein spezifisch menschlich(männlich?)-verliebtes Verhalten: In diesem Werben, Tun fortzufahren, obwohl jedes Ende (egal wie realistisch) zur Katastrophe führt.

Nur das Ende hat mich ein wenig verstört: Gordon schickt sich nach meinem Dafürhalten ein wenig zu selbstverständlich in den Tod, der ihm beim "notwendig" gewordenen Duell mit dem Ehemann Céciles droht (die Erwähnung der Tatsache, dass ihm der erste Schuss zusteht, wirkt da wenig überzeugend). Und auch der Tod Céciles durch Traurigkeit, Verzweiflung ob einer Welt, die ihr die Ruhe nicht gönnt, mutet "literarisch" an. Ansonsten aber ein typisch Fontanescher Lesegenuss.

lg

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Offline orzifar

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #17 on: 26. Juli 2015, 03.57 Uhr »
Hallo!

Stine erinnert in der Thematik an Cécile, auch im tragischen Ende. Hier ist es ein Graf, der, von Krankheit und Todessehnsucht gezeichnet, in der Näherin Stine ein vermeintlich verwandte Seele erkennt und sie zu seiner Frau machen will. Aber es sind nicht die gesellschaftlichen Bedenken des gräflichen Umfeldes, die diesem Traum ein Ende machen, es ist vielmehr Stine selbst, die ein solches Ansinnen zurückweist und als undurchführbar ansieht.

Aber wieder stirbt es sich für mein Dafürhalten am Ende des Romans zu leicht, wird der Tod in einer abgeklärt-besonnenen Form herbeigesehnt und akzeptiert, die künstlich anmutet. Der Selbstmord als das perfekte Ende eines Romans ist verführerisch und pflegt wohl auch realen Schicksalen einen tragischen Abschluss zu verleihen. Allerdings ist er tatsächlich tragisch, erlitten, ich habe von keinen philosophischen Selbstmorden in der Wirklichkeit vernommen, sondern nur von oft jahrelanger, tiefer Verzweiflung. Wobei Philosophie hier das Stichwort ist: Diese Pest des philosophischen Selbstmordes haben nicht zum geringsten Platon (mit seinem Sokrates) oder auch Seneca verursacht. Sokrates, der da von den letzten Dingen mit seinen Jüngern plaudert, sie tröstet und dann ruhigen Sinnes stirbt (was schon aufgrund der Methode etwas Unwahrscheinliches hat, Zitat Wikipedia: "Die Vergiftung äußert sich durch Brechreiz, Verlust des Sprech- und Schluckvermögens und Muskelkrämpfe, bis schließlich durch Atemlähmung der Tod eintritt." Das klingt nun gar nicht mehr nach Unterhaltung und heroischem Sterben und dürfte der Wirklichkeit näher kommen, wie auch Senecas mehrfaches Öffnen und Schließen der Adern nebst langsamem Verbluten (dabei noch bedenkend, das er nicht freiwillig starb) eher ins Märchenreich denn in die Geschichte gehört.

Aber ansonsten: Lehnstullektüre par excellence, nach Fontanes Schreibweise könnte man süchtig werden.

lg

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #18 on: 01. August 2015, 02.25 Uhr »
Hallo!

"Die Poggenpuhls", adelige, aber verarmte Familie, deren Mitglieder in unterschiedlicher Weise ihrem Adelsprivileg anhängen (bzw. sich davon emanzipieren wollen). Sowohl der jüngste Sohn als auch die zweite Tochter spekulieren auf reiche Heiraten im jüdischen Industriellen- bzw. Bankiersmilieu, um der permanenten Geldknappheit zu entrinnen. Eine Studie über die untergehende Zeit des Adels, über den unweigerlich aufkommenden Geldadel, der aus pragmatischen Gründen den Geburtsadel ablöst.

Der Roman bleibt ohne spektakulären Schluss (wie die vorhergehenden, bei denen der Tod reiche Ernte hielt), er lebt von den wundervoll gezeichneten Charakteren und wie immer von den Dialogen.

"Irrungen, Wirrungen" spielt mit demselben Thema, hier aber wird noch eine Stufe übersprungen, da sich Baron Botho in die Tochter einer Wäscherin verliebt. Einem wundervollen Sommer zu zweit folgt der "Ernst des Lebens": Botho wird dazu gedrängt, seine reiche Cousine zu heiraten (eine Heirat, die schon von den Eltern vor langer Zeit beschlossen ward) und trotz seiner Zuneigung zu Lene folgt er den Ansprüchen seiner Kreise. Auch hier bleibt es wieder einigermaßen unbestimmt, wie Fontane tatsächlich eine solche Zweckheirat beurteilt: Einerseits leidet der Baron unter seiner verlorenen Liebe, andererseits gibt er (gegen Ende des Buches) einem Regimentskameraden den Rat, nicht aus seinem Kreise zu treten. Aber Glück verspricht beides nicht, man fügt sich gesellschaftlichen Forderungen und opfert einen Teil seiner selbst.

Dass diese Romane auch heute noch lesbar sind, liegt an dem herausragenden Schriftsteller Fontane: Denn das Thema selbst hat sich - großteils - denn doch erledigt (eine Stewardess als schwedische Königin wäre eben 100 Jahre früher nicht möglich gewesen). Ganz verschwunden sind Standesrücksichten natürlich nicht (und die gibt es in allen Schichten: So weiß ich von einem Bauern, der seine Tochter deshalb halbtot prügelte, weil sie sich in einen Arbeiter verliebte - und das ist noch keine 30 Jahre her). Fontane weist aber in seinen Figuren, in der Darstellung ihrer Gefühle, Eitelkeiten etc. weit über das Thema hinaus: Die Verliebtheit zwischen Lene und Botho hat etwas über die Zeit hinausreichend Gültiges (wenn ich hingegen an Kabbale und Liebe denke (ich weiß, Theater, eine noch andere Zeit ...), so glaube ich das Zeitlose in diesem Stück nicht zu finden - was aber auch an meiner Abneigung gegenüber Schiller zu tun haben mag), hat etwas Ewiges. 

lg

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #19 on: 05. August 2015, 03.34 Uhr »
Hallo!

"Unwiederbringlich" führt in ein aristokratisches Milieu (Schleswig-Holsteins) - und vielleicht ist dies der Grund, warum mir dieser Roman weniger gelungen erscheinen will als die letzten, eher dem Bürgerlichen verpflichteten (vielleicht aber auch macht es die Menge an Fontanescher Lektüre, die abstumpft und empfindlich macht). Hork, ein Graf aus dem (damals noch) dänischen Schleswig, lebt mit Christine in einer offenbar glücklichen Ehe, aus der auch zwei Kinder hervorgegangen sind (die aber im Verlauf des Romanes nur die Funktion von Stichwortgebern übernehmen). In den letzten Jahren waren jedoch dunkle Schatten aufgezogen: Der sanguinische, lebensfrohe Graf fühlt sich in der Gegenwart seiner immer mehr dem Glauben sich zuwendenden Gattin unwohl, ihr rigides Moralbewusstsein, ihre völlige Humorlosigkeit in religiösen Dingen entfremdet das Ehepaar einander. Hork wird zum Kammerdienst bei der Prinzessin nach Kopenhagen abberufen und lernt dort Ebba, eine Hofdame (mit jüdischen Wurzeln) kennen und später auch lieben (eine Liebe, die aber keineswegs auf Gegenseitigkeit beruht: Für Ebba ist Hork ein Spielzeug, ein Vergnügen, dass sie sich während des langweilenden Hofdienstes gönnt, wobei in ihrer Darstellung man das eine oder andere antisemitische Klischee erkennen kann - so man böswillig ist). Hork trennt sich von seiner Frau, wird von Ebba jedoch zurückgewiesen, ja lächerlich gemacht und verbringt einige Zeit auf Reisen, um schließlich wieder zur Gräfin (die ihn in Gnaden wieder aufnimmt) zurückzukehren. Dieses Glück ist aber nur von kurzer Dauer, Christine kann nicht wirklich verzeihen und sucht in ihrer zunehmenden Einsamkeit und Verzweiflung den Freitod.

Der lockere, plaudernde Stil anderer Romane, das geistreiche Gespräch, die Ironie kommen hier in nur gedämpfter Form zum Ausdruck. Den Hofszenen mangelt es an satirischer Schärfe, selbst der Hofmann Pentz, dem nichts heilig zu sein scheint, wirkt in seinem Zynismus ein wenig mühsam. Wirklich gelungen ist nur die Figur der selbstgefällig-bigotten Christine, die an ihren eigenen, strengen Maßstäben und Regeln erstickt, auch wenn der Selbstmord bei einer derart tiefgläubigen Frau wenig plausibel erscheint (vielleicht aber sollte das Ausmaß ihrer Verzweiflung durch diesen scheinbaren Widerspruch unterstrichen werden). Alles in allem haben die Figuren hier weniger Esprit, sind eine Spur einfacher und durchschaubarer konstruiert als in Fontanes anderen Romanen und haben - wenigstens mich - weniger in den Bann gezogen.

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #20 on: 10. August 2015, 00.19 Uhr »
Hallo!

Ellernklipp ist die Geschichte einer femme fatale wider Willen. Hilde wird als Waise vom verwitweten Heidereiter Baltzer Bocholt an Kindes Statt augenommen. Ihre Herkunft ist mythenumrankt: Allgemein gilt der jung im Krieg gestorbene Graf als ihr Vater, bis zum Tod ihrer Mutter wurde die Familie denn auch vom Schloss unterstützt. Hilde hat typisch aristokratische Attribute (bzw. das, was dafür galt oder Fontane dafür hielt): Ein ihr eigener Stolz, Selbstbewusstsein, Verträumtheit und praktische Unfähigkeit. Und sie entwickelt sich zu einer attraktiven, jungen Frau mit dem gewissen Etwas, einem Blick, der - wie die Haushälterin Grissel feststellt - sämtlichen Männer den Kopf verdreht. Und so verliebt sich sowohl ihr Ziehbruder als auch der Vater in die junge Frau und in einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn stürzt dieser von einer Felswand (Ellernklipp) in den Tod.

Dieser Tod bleibt zunächst unaufgeklärt, der Vater heiratet Hilde, aber über dieser Beziehung liegt kein Segen. Das kleine Kind kränkelt und der Heidereiter trägt immer schwerer an seiner Schuld und nimmt sich - von Spukgeschichten über unheimliche Stimmen auf Ellernklipp getrieben - das Leben. Diese einer Chronik nachempfundene Kriminalgeschichte wird für Fontane zum Anlass genommen, über das "Blut", die Vererbung zu räsonieren, stellt die spezifisch männlichen Charakterzüge des Besitzdenkens, der Eifersucht in Liebesdingen heraus und deren Macht, die ein vormals bürgerlich-braves Leben völlig vernichten. Dazu - wie häufig bei Fontane - einige mystische Einsprengsel: Ein seherischer Herrnhuter, übernatürliche Einsprengsel und Zeichen des herannahenden Unglücks. Nicht die faszinierendste Erzählung aus seinem Werk, aber sehr gut lesbar und mit der fast selbstverständlichen, fontaneschen Qualität der Zeichnung psychologischer Feinheiten.

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Re: Theodor Fontane: Frühe Erzählungen und diverse Romane
« Reply #21 on: 11. August 2015, 00.19 Uhr »
Hallo!

Unterm Birnbaum ist eigentlich ein klassischer Kriminalroman, dessen Handlung Fontane angeblich auch einer Chronik entnommen hat. Und es ist ein gelungener Krimi, einer, der in seiner psychologisch genauen Zeichnung der Landbevölkerung mit dem Glauser des 20. Jahrhunderts vergleichbar ist.

Der sich durch eigene Nachlässigkeit beständig in Geldnot befindliche Krämer und Gastwirt Hradschek beschließt jenen Reisenden zu ermorden, dem er eine erhebliche Summe Geldes schuldet. Das Ganze wird geschickt eingefädelt, falsche Spuren werden gelegt und entdeckt, sodass schließlich niemand (außer dem Dorfgendarm) an der Unschuld Hradscheks (und seiner Frau, die als Komplizin dient) zweifelt.

Aber das Ehepaar kommt trotzdem nicht wirklich zur Ruhe: Seine Frau stirbt schon bald an "psychischer Auszehrung"; sie, die zuvor alles zu tun bereit war, um der Armut zu entgehen, kann sich ihrem eigenen Gewissen nicht entziehen. Und Hradschek wird durch diverse Anspielungen seitens seiner als "Hexe" verschrieenen Nachbarin immer wieder in Unruhe versetzt, sodass er beschließt, sich der im Keller vergrabenen Leiche endgültig zu entledigen. Dabei kommt er jedoch selbst durch eine Nachlässigkeit zu Tode - und der Mord wird auf diese Weise entdeckt. (Natürlich steckt hinter diesem Tod auch das Motiv der Sühne bzw. der gerechten Vergeltung.)

Das Beste an diesem durchaus spannend geschriebenen Roman sind aber die Beschreibungen der sozialen Verwicklungen in diesem Dorf, wer sieht auf wen und mit welchem Grund herab, wem ist daran gelegen, einen anderen zu Fall kommen zu sehen, welche (psychologisch geschickten) Schachzüge lenken den Verdacht vom Ehepaar ab. Das alles ist hervorragend gemacht und würde diesem Roman in einer Anthologie großer Kriminalromane einen verdienstvollen Platz garantieren.

lg

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