Author Topic: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty  (Read 6800 times)

Offline Bartlebooth

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Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« on: 19. Januar 2015, 13.22 Uhr »
Ich eröffne hier mal ein Forum mit der Überschrift „Kapitalismuskritik – Pasolini und Piketty“. Ich lese eines der meistdiskutierten Bücher des letzten Jahres, Thomas Pikettys „Le capital au XXIème siècle“, das auf Deutsch unter dem Titel „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ letzten Herbst bei Beck erschienen ist. Orzifar liest Pier Paolo Pasolinis „Freibeuterschriften“, die bei Wagenbach 1998 erschienen sind. Orzifar ist so nett, mir ein bisschen Vorsprung zu lassen, da ich ungefähr 850 Seiten mehr zu bewältigen habe.
Gerade heute geht die Meldung durch die Presse, dass eine Oxfam-Studie errechnet hat, dass im Jahr 2016 das reichste Prozent der Bevölkerung mehr Vermögen hat als der Rest der Menschheit. Die Konzentration von Kapital bei immer weniger Menschen ist eines der wichtigsten sozialpolitischen Themen wenigstens des letzten Jahrzehnts. Thomas Piketty stellt die These auf, dass diese Konzentration in der Wirtschaftswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert diskutiert wird (er führt als Beispiele die Theorien von Ricardo, bei dem es um Konzentration des Grundbesitzes geht, und natürlich von Marx an, der einen weiter gefassten Begriff der „Produktionsmittel“ verwendet, wenn ich mich recht entsinne – meine Marxlektüre liegt allerdings Jahre zurück), außerdem dass sie unvermeidlich ist, sobald in der Wirtschaft gilt, dass die Rendite aus Kapital höher liegt als das Wachstum. Meine etwas schwammige Formulierung an dieser Stelle zeigt zweierlei: Zum einen habe ich kein vertieftes Wissen über die Terminologie der Wirtschaftswissenschaft, noch dazu lese ich auf Französisch und muss daher die Begriffe übersetzen. Ich hoffe, das wird nicht zu Konfusion führen. Zum zweiten ist die Frage, wie der Wirtschaftsraum für Pikettys Theorie einzugrenzen ist. Er nimmt zu Beginn eine Parzellierung in die bekannten Volkswirtschaften vor, betrachtet also Frankreich, Großbritannien, die USA, Japan, Deutschland usw. Vielleicht gibt er am Ende auch einen Ausblick auf das Gefüge der Weltwirtschaft, das versuche ich im Hinterkopf zu behalten. Die langfristig bessere Datenlage gibt es aber natürlich in den klassischen Industrieländern, die einfach schon viel länger Wirtschaftszahlen aufzeichnen als z.B. vergleichsweise junge Player wie China.
Piketty wendet sich mit seiner Analyse gegen die lange Zeit als gegeben hingenommene „Kuznets-Kurve“, eine Glockenkurve, die der Ökonom Simon Smith Kuznets in den 50er und 60er Jahren entwickelte und die für eine sich industrialisierende Wirtschaft zunächst eine wachsende Ungleichheit der Einkommen, bei fortschreitender Industrialisierung dann aber wieder eine Angleichung der Einkommen voraussagt. Kuznets war laut Piketty der erste Ökonom, der für seine Theorie eine breite statistische Datenmenge zur Verfügung hatte – allerdings zu einem eher untypischen Zeitpunkt, nämlich in der Zwischenkriegszeit und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Weltwirtschaftskrise und Krieg hätten allerdings, so Piketty, Kapital vernichtet und daher die Ungleichheit zweimal nivelliert.
Für mich stellt sich die Frage, ob Kuznets nicht auch etwas anderes analysierte, nämlich die Ungleichheit von Einkommen aus Erwerbsarbeit, wohingegen Piketty ja den Fokus auf die Ungleichheit zwischen unterschiedlichen Einkommensarten legt, nämlich solchem aus Erwerbsarbeit und solches aus bereits akkumuliertem Kapital. Ich bin mir sicher, dass diese Frage im Laufe des Buches beantwortet werden wird.
Thomas Piketty, Le capital au XXIème siècle
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem

Offline sandhofer

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Re: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« Reply #1 on: 14. Februar 2015, 16.02 Uhr »
Ich habe gesehen, dass die Büchergilde den Piketty nun auch im Programm führt. Vielleicht bestelle ich den und schliesse mich dieser Leserunde an. (Sofern die überhaupt noch aktuell ist?)
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

Offline orzifar

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Re: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« Reply #2 on: 14. Februar 2015, 23.30 Uhr »
Hallo,

für mich schon noch aktuell, ich habe nur versucht, Bartlebooth den nötigen Vorsprung zu geben (da die Buchumfänge sich ja etwa im Verhältnis 1 : 8 bewegen). Interessant in diesem Zusammenhang wäre vielleicht auch das Buch von Mariana Mazzucato: "Das Kapital des Staates", in dem die Argumentation der Privatwirtschaft ad absurdum geführt wird, dass es nur diese sei, die Arbeitsplätze schaffe.

lg

orzifar
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Offline Bartlebooth

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Re: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« Reply #3 on: 18. Februar 2015, 14.22 Uhr »
Hallo zusammen,

na klar ist die noch aktuell. Ich habe auch schon weitergelesen, aber das Buch ist wirklich sehr detailliert, und ich brauche ein bisschen, um die große Argumentation zu kapieren. Ich komme also voran, aber im Moment sehr langsam. Es gibt also noch alle Zeit, um zu mir aufzuschließen. :-)

Herzlich, B
Thomas Piketty, Le capital au XXIème siècle
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem

Offline sandhofer

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Re: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« Reply #4 on: 19. Februar 2015, 19.35 Uhr »
Sehr schön. Mal schauen, ob ich mir die 800+ Seiten wirklich bestelle...
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Offline orzifar

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Re: Kapitalismuskritik: Pasolini und Piketty
« Reply #5 on: 29. April 2015, 08.43 Uhr »
Hallo!

Nachdem ich in den Pasolini ein wenig reingelesen habe (nicht wirklich begeistert) werde ich zusätzlich - wie erwähnt - das Buch von Mariana Mazzucato: Das Kapital des Staates, in die Leserunde miteinbringen. Ich habe es nun doch früher als erwartet erhalten. Und es dürfte thematisch sehr gut zum Piketty passen.

lg

orzifar
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