Author Topic: Heinrich Steinfest: Der Allesforscher  (Read 5635 times)

Offline orzifar

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Heinrich Steinfest: Der Allesforscher
« on: 07. Januar 2015, 18.51 Uhr »
Hallo!

Ein IT-Manager wird in Taiwan von einem explodierenden Wal schwer verletzt, beginnt im Krankenhaus eine Affäre mit der ihn behandelnden (deutschen) Ärztin, stürzt anschließend mit dem Flugzeug ab, überlebt (nicht ohne eine gewisse Schuld für den Tod eines Mitpassagiers auf sich zu laden), fährt nach Hause, heiratet, lässt sich wieder scheiden, wird Bademeister in Stuttgart und 8 Jahre nach seiner Taiwan-Exkursion vom Konsulat kontaktiert, das da vermutet, dass er der Vater des Sohnes der vor 6 Jahren verstorbenen Ärztin sein könnte. Er akzeptiert diese Vaterschaft, die sich allerdings als falsch herausstellt (das asiatische Aussehen schließt ihn als Vater sofort aus), nimmt den Jungen trotzdem zu sich, der sich als sprachlos (er spricht eine Privatsprache und scheint nicht fähig, eine andere zu lernen), aber außergewöhnlich begabt erweist (ein Kletter- und Zeichengenie). Schließlich fährt man zum Bergsteigen nach Tirol (wo die Schwester der Hauptfigur tödlich verunglückt ist), trifft, ohne dass jemand was davon erfährt, den wahren Vater des Jungen (einen Kosmetikhersteller, der auf der Flucht vor seinen Konkurrenten zum Tellerwäscher mutiert), verliert sich in Träumen, in denen verstorbene Personen auftauchen bzw. von den Träumen des einen zu den eines anderen wechseln und fährt schließlich - Freundschaften schließend - wieder nach Hause.

Wenn das verwirrend klingt: Ja, das ist es zum Teil. Aber weniger die Verwirrung, sondern die sinnfreie Aneinanderreihung von Ereignissen macht das Buch zu einem äußerst unausgegorenen, oft schon blödsinnigen Machwerk, das weder amüsant zu sein versteht (außer man freut sich über explodierende Wale oder andere Abstrusitäten, die schon mal vorkommen, allerdings keine Geschichte tragen können) noch sprachlich irgendetwas anderes als Hausmannskost zu bieten in der Lage ist. Dazu kommen die enervierenden Traumsequenzen mit esoterischem Einschlag oder dümmlich-banale Konstruktionen (wie der sprachlose (allerdings Donald-Duck-Heftchen lesende und Filme guckende) Junge mit geniehaften Allüren). Das Ganze hat die Originalität und den Unterhaltungswert einer Ecksitzgarnitur - und wie ein solches Machwerk auf die Buchpreis-Shortlist kommt bleibt das Geheimnis der Jurymitglieder. Steinfest hat sich mit diesem Ausflug in die Nicht-Krimi-Literatur völlig übernommen; was etwa in "Gewitter über Pluto" noch witzig und geistreich war (und ich sogar noch schrieb, dass es spannend wäre, den Autor abseits dieses Genres kennenzulernen), ist hier bestenfalls Klamauk. Und von den originell gestalteten Figuren jenes Buches ist hier nur noch ein plumper Abklatsch zu finden. Fazit: Ein Buch, das so ziemlich alles falsch macht, was da falsch zu machen ist: Von langweiligen Witzeleien zu schwachsinnigen, esoterischen Traumsequenzen findet sich hier alles.

lg

orzifar
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Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
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Offline sandhofer

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Re: Heinrich Steinfest: Der Allesforscher
« Reply #1 on: 07. Januar 2015, 19.19 Uhr »
[...] wie ein solches Machwerk auf die Buchpreis-Shortlist kommt bleibt das Geheimnis der Jurymitglieder.

Was für ein Buchpreis denn? Ich vergesse solche Short-Lists praktisch sofort wieder ...
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

Offline orzifar

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Re: Heinrich Steinfest: Der Allesforscher
« Reply #2 on: 07. Januar 2015, 20.52 Uhr »
[...] wie ein solches Machwerk auf die Buchpreis-Shortlist kommt bleibt das Geheimnis der Jurymitglieder.

Was für ein Buchpreis denn? Ich vergesse solche Short-Lists praktisch sofort wieder ...

Dieser da ... Der unbekannteste nicht. Das vorliegende Buch hat jedenfalls definitiv nichts auf einer Liste verloren, aus der der "beste" deutsche Roman des Jahres gekürt wird.

lg

orzifar
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Offline Bartlebooth

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Re: Heinrich Steinfest: Der Allesforscher
« Reply #3 on: 12. Januar 2015, 19.06 Uhr »
Eine schöne Zusammenfassung des Buches, lieber orzifar. Das Buch hatte sicherlich nichts auf der Shortlist (oder auch nur der Longlist) des Deutschen Buchpreises verloren, allerdings beobachte ich die belletristischen Neuerscheinungen nicht in einem Ausmaß, das es mir erlauben würde, zu sagen, wem es den Platz weggeschnappt hat.
Ich muss sagen, dass ich das Buch nicht von Anfang an schlecht fand. Zwar war mir die Hauptfigur in ihrer ungebremsten Eitelkeit von Anfang an unsympathisch, aber bis einschließlich zum zweiten Teil war es eine zwar sinnfreie, aber immerhin ganz unterhaltsame Aneinanderreihung mehr oder weniger skurriler Aperçus. Man hätte von hier ausgehend eine immer noch etwas unwahrscheinliche und chimärenhafte, aber immerhin lesbare Geschichte erzählen können. Der dritte Teil mit seinen Traumsequenzen und seinen ebenso bedeutungsschwangeren wie undurchsichtigen Begegnungen in und um Innsbruck war dann allerdings nur noch schwer zu ertragen. Gegen einen gepflegten Manierismus ist ja gar nicht unbedingt etwas einzuwenden, aber diese symbolhaften Kulissen, die scheinbar auf irgendeinen Zusammenhang verweisen, sich aber letztendlich alle als einfach hohl erweisen, sind ärgerlich. Noch dazu erreicht die gestelzte Sprache im dritten Teil ihren kaum noch verdaulichen Tiefpunkt. Die nebensächlichsten Banalitäten werden in aufgerüschte Formulierungen gegossen, was dann etwa so klingt: "Wir saßen auf Steinen und aßen präparierten Apfel. (...) Ich schloß die Augen. Meine Zähne steckten in einem süßlichsauren Kugelausschnitt. Halb schlief ich ein."
Ich schlief immer häufiger während der zähen zweiten Hälfte des Buches ganz ein und schüttelte mich nur ab und an wegen solcher Beschreibungen und Metaphern.
Ganz gut fand ich wieder das Ende, womit ich die zweieinhalb letzten Seiten meine. Was hätte man aus dieser Konstellation für ein Buch machen können. Steinfest war damit aber offenbar tatsächlich vollständig überfordert.
Thomas Piketty, Le capital au XXIème siècle
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem