Hallo!
Ein junger Mann aus reicher Familie entschließt sich zum Leidwesen seines Vaters, nicht in dessen Fußstapfen als gut verdienender Bankmanager zu treten, sondern eine Karriere als Philosoph einzuschlagen. Aber nach verheißungsvollem Beginn entzweit er sich mit seinem Professor, verliert die Anstellung und landet am Arbeitsamt bei unerquicklichen Selbstdarstellungskursen. Das Leben eines gescheiterten Akademikers zu Beginn dieses Jahrtausends, der - statt ein Loft oder Penthouse zu bewohnen - in einem übel beleumundeten Stadtviertel Wohnung nimmt, dessen Selbstwertgefühl proportional zu seiner Erfolglosigkeit sich verhält und der schließlich Freundschaft mit einem dubiosen, jungen Mann namens Mauritz schließt, der eine Art elitäre, terroristische Revolution anstrebt, finanziert von seltsamen Unternehmern, Adeligen und reichen Pseudofaschisten.
Tellkamp versteht sein Handwerk: Witzige Dialoge, gekonnter Spannungsaufbau, geschicktes Verflechten von Handlungssträngen, verschiedener zeitlicher Ebenen. Trotz dieser sprachlicher Sicherheit (nur manchmal haftet an seinen Metaphern eine bemühte Künstlichkeit, die ein wohlgesonnener Lektor dem Rotstift hätte zum Opfer fallen lassen sollen) wirken gerade der gekonnte Aufbau - und noch viel mehr die Figuren - allzu glatt, konstruiert, ausgedacht. Von allem zuviel, überall ein bisschen mehr Spektakulum als nötig, bis schließlich die eigentlich gelungene Darstellung eines sozialen Abstiegs unter all den Geschmacksverstärkern verschwindet.
Wie so oft meint ein Schriftsteller das Besondere beschreiben zu müssen: Wiggo als Klassenbester, als hochtalentierter Philosoph, der an der Fakultät zu den größten Hoffnungen berechtigt, Sohn eines mächtigen Bankmanagers, dessen Einfluss und Macht den Einsatz einer gepanzerten Limousine erheischt; Mauritz als der faszinierende, elitäre Führer einer neuen Bewegung, in einer körperlichen Auseinandersetzung mit Neonazis an fernöstliche Serienhelden erinnernd, charismatisch, unnahbar und durch seine Verbindungen im Besitz enormer Geldmittel - und selbst die Nebenpersonen von beeindruckender Originalität. Dazu Wiggos Mord an Mauritz, der, als Teaser auf den ersten Seiten missbraucht, die Spannung - gekonnt - aufbaut.
Nichts gegen das Außergewöhnliche oder herausragende Fähigkeiten, nichts gegen ein kleines Zugeständnis mit Blick auf die prospektive Leserschaft. Und selbstverständlich darf man das - in Hogwarts. Nicht aber in einem Roman, der der Realität verhaftet ist und der aufgrund dieser Fülle an Besonderheiten unglaubwürdig wirkt. Ein bisschen erinnert dieser Wiggo des Jahres 2000 an Bölls Clown, betulich, korrekt, berechenbar und trotz seiner ihm attestierten Hochbegabung durchaus keiner, dessen philosophische oder politische Analysen dieses Talent verraten würden. Das ganze hochgestochene Brimborium hätte man auf bescheidene Weise eindrucksvoll ersetzten können: Studienabbrecher, Beamtensohn kokettiert wegen Zivilversagens mit der rechten Szene. Keine Organisation "Wiedergeburt" mit Verbindungen in die allerhöchsten Kreise, keine Reichen und Superreichen, Schloßbesitzer und als Kind nach Auschwitz deportierte Universitätsprofessoren. Unter all diesen literarischen Putten und pittoresken Verzierungen geht jener Teil verloren, der Tellkamp wirklich hervorragend gelungen ist: Jener über die Angst einer Stadt in prosperierender Zeit, das Versagen, durch den Rost fallen, die Verzweiflung darüber, keinen Platz mehr zu finden dort, wo das Glück - scheinbar - regiert. Das diese Beschreibungen schier erstickt werden unter einer Besonderheitstümelei, die sich ausschließlich mit dem Herausragenden vermählt, ist das wahre Ärgernis dieses Buches.
lg
orzifar
Hier ein Kommentar zu den besonderen Fähigkeiten des "verheißungsvollen" Philosophen