Hallo!
Habe mittlerweile knapp die Hälfte des Buches gelesen. Und der Grundtenor hat sich nicht geändert: Angenehm zu lesen, aber es entsteht der Eindruck, dass für wirklich große Literatur etwas fehlt. Thematisch ist das Buch etwa dem "Fest des Ziegenbocks" von Vargas Llosa ähnlich, es beschreibt vergleichbare Strukturen absoluter Herrscher, die ungustiöse Verquickung von politischer und persönlicher Macht. In ihrer Bösartigkeit und Perversion sind sich Diktaturen offenbar ähnlich: Ein devoter Klüngel an Helfern (die darauf warten, ihre Macht irgendwie vermehren zu können), abgehobene, von der Realität meilenweit entfernte Herrscherfiguren, ein weitgehend ohnmächtiges Volk, das von den Schergen der Diktatoren geknechtet wird.
Thiong'o versieht diese politischen Aspekte mit einem Schuss Übersinnlichen: Das könnte - wie eben bei Llosa, Marquez oder aber auch Rushdie ein Mittel der sublimen Beschreibung der Zustände sein. Aber so ganz gelingt dem Autor dieser Spagat nicht, obwohl es schwer - etwa im Vergleich zu den genannten Autoren - zu beschreiben ist, was denn hier falsch läuft. Marquez lässt etwa in "Hundert Jahre Einsamkeit" eine Blutspur durch den ganzen Ort laufen, um der Mutter den Tod ihres Sohnes anzuzeigen, man fährt in den Himmel auf oder wird von jahrzehntelangen Regenfällen heimgesucht: Aber nirgendwo hat man den Eindruck des Aufgesetzten, Unpassenden, einer vergewaltigten Realität. Thiong'o hingegen gelingt es nicht wirklich, sehr viel weniger Wunder-Bares in seinen Roman glaubhaft zu integrieren, einerseits zu metaphorisch, andererseits wieder betulich. Das Übersinnliche dient nicht dem Roman, wird nicht bloß funktional gehandhabt, sondern zu einem realen Moment.
Deshalb geht - für mich - von diesem Buch nicht jener Sog aus, der die vorher genannten Autoren auszeichnet und mich stundenlang die Bücher nicht aus der Hand legen lässt. Wenngleich betont werden muss, dass dies beileibe kein schlechtes Buch ist. Aber zur ganz großen Literatur fehlt das gewisse Etwas, jenes Etwas, das sich nur schwer oder gar nicht in Worte fassen lässt.
lg
orzifar