Author Topic: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche  (Read 9567 times)

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Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« on: 01. Mai 2013, 10.45 Uhr »
Manchmal denke ich, ich neige zum Masochismus. So habe ich nun - neben den Leserunden-Grossprojekten der Horen, Lichtenbergs und Gomperz' - noch diesen mittelalterlichen chinesischen Roman angefangen, der ja auch nur runde 1'600 Seiten umfasst. Die ersten drei oder vier Kapitel gelesen - und schon den Überblick über das Personal verloren. Die Leute damals in China hiessen nicht nur alle ähnlich, sondern auch verschieden. Also: ähnlich untereinander, aber dieselbe Person konnte auch verschiedene Namen tragen - einen Namen, einen Kaisernamen, einen Tempelnamen. Und dabei wird fleissig intrigiert. Jeder gegen jeden, sozusagen.
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BigBen

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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #1 on: 03. Mai 2013, 08.38 Uhr »
Der Roman steht auch auf meiner Leseliste. Was hast Du denn für eine Ausgabe? Gibt es überhaupt eine vollständige deutsche Übersetzung?

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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #2 on: 03. Mai 2013, 09.14 Uhr »
Auf Deutsch gibt's den Roman m.W. nicht vollständig. Die Insel-Ausgabe ist gekürzt, andere kenne ich nicht. Ich lese die ungekürzte englische Übersetzung

Moss Roberts: Three kingdoms. A historical novel. University of California Press, Berkeley CA u. a. 1991, ISBN 0-520-06821-1.

Allerdings in der bibliophilen Edition der Folio Society. Das ist der Text der Mao-Ausgabe. Die heisst so, weil Vater und Sohn Mao sie im 17. Jahrhundert aus einer älteren Fassung des 16. Jahrhunderts herausdestillierten, und die so zum chinesischen Klassiker geworden ist. Alles gemäss dem Vorwort meiner Ausgabe.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #3 on: 12. Mai 2013, 08.11 Uhr »
Ich lese ein Kapitel pro Tag, das sind so 6-8 Seiten. Vielleicht zu wenig, um in den Text zu kommen? Die vielen Namen und Scharmützel irritieren mich.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #4 on: 22. Juni 2013, 17.54 Uhr »
Könnte ein Handbuch der Strategie sein. Wurde m.W. auch von Sun-tsu in diesem Sinne benutzt.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #5 on: 27. Juni 2013, 20.07 Uhr »
Strategie und Geheimdiplomatie. Da stellen sich die Möchtegern-chinesischen-Kaiser ja gegenseitig Fallen ...  8)
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #6 on: 29. Juni 2013, 10.53 Uhr »
Gegen Ende des ersten Buchs: Der Kaiser wird immer schwächer, die Intrigen seiner (nominell) Untergebenen immer stärker. Die kriegerischen Auseinandersetzungen treten in den Hintergrund. Man versucht sich nun im klassischen Giftmord, in Verräterei und andern Kabalen. An die Stelle der toten Generale in der Schlacht treten nun die zu Tode gefolterten Höflinge. Dabei recht realistische Beschreibungen von Auspeitschungen etc.

Ich frage mich die ganze Zeit: Historischer Roman oder Geschichtsschreibung?
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #7 on: 30. Juni 2013, 10.58 Uhr »
Nach etwa 350 Seiten beginnt sich das Chaos zu ordnen. Den einen oder andern Namen erkenne ich mittlerweile sofort wieder und die übergeordneten Stratageme von Cao Cao und dem kaiserlichen Onkel Liu fangen an, sich abzuzeichnen. Allerdings kann ich noch nicht nachvollziehen, dass Cao Cao der Bösewicht des Romans sein soll. Bisher benimmt er sich ganz ordentlich - nicht unordentlicher jedenfalls als andere auch.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #8 on: 30. Juni 2013, 19.44 Uhr »
Nun hat Onkel Liu endlich einen guten Strategen gefunden und beginnt, seine Schlachten auch zu gewinnen. Die Bildung eines eigenen Reichs beginnt auch für ihn Formen anzunehmen. Damit wäre das dritte der drei Königreiche nun auch aus der Taufe gehoben.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #9 on: 01. Juli 2013, 21.23 Uhr »
Und immer wieder Intrigen. Zwei der drei Grossen koalieren gegen den Dritten - heimlich aber wird immer wieder intrigiert gegen den Alliierten. Man sollte das Buch wirklich mal in Gänze auf Deutsch publizieren. Sun-tzu oder Macchiavelli sind Kindergärtner gegen das, was hier abgeht.  >:D
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #10 on: 03. Juli 2013, 07.53 Uhr »
So ab Seite 400 wird die Geschichte zügig voran getrieben. Jetzt konfrontieren sich die beiden Figuren, die gemäss meinem Vorwort die Hauptrolle spielen: Cao Cao, der kaiserliche Ministerpräsident, der im Auftrag des Kaisers zu handeln vorgibt, und Liu Bei, der kaiserliche Onkel, der den kaiserlichen Neffen zu schützen vorgibt. Beide versuchen, ihre Macht zu konsolidieren - beide mit vielleicht mit Ansprüchen auf den kaiserlichen Titel selber, den aber keiner zugibt. Ein zeitloses Spiel...
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #11 on: 04. Juli 2013, 20.21 Uhr »
Irgendwie eine Mischung zwischen Geschichtsschreibung und Abenteuerroman bzw. Märchen, wo auch plötzlich Figuren erscheine mit übernatürlichen Fähigkeiten. Nein, die Figuren in Luo Guanzhongs Romanen können nicht zaubern oder etwas in der Art. Aber die Art und Weise, wie Liu Beis neuer Berater die Schritte der einzelnen Kontrahenten vorherzusagen weiss, ist im Grunde genommen dasselbe.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #12 on: 06. Juli 2013, 15.10 Uhr »
Fast vergessen, obwohl es mir schon bei den ersten paar Kapiteln aufgefallen ist:

Ein jedes Kapitel endet mit einer Frage. "Wer war es, der ... ?" Oder: "Wird XY mit dem Leben davon kommen?" Wahre kleine Cliffhanger, die den Leser ermuntern, das nächste Kapitel gleich anzuhängen.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #13 on: 07. Juli 2013, 08.42 Uhr »
Ich frage mich die ganze Zeit: Historischer Roman oder Geschichtsschreibung?

Die Frage hat sich mittlerweile gelöst: Historischer Roman.

So ungefähr ab der Mitte beginnt Luo Guanzhong die beiden Haupthelden zu stilisieren. Cao Cao wird immer brutaler und gemeiner, Liu Bei immer edler. Und obwohl die Rede ja von drei Reichen ist, steht das dritte etwas im Schatten der beiden andern, von Cao Cao und Liu Bei vertretenen. Historisch gesehen hatten wir in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts u.Z. in China ein Interregnum vor uns. Zuerst ein schwacher Kaiser aus der Han-Dynastie, dann gar keiner mehr. Rivalisierende War-Lords, die nachträglich zu staatserhaltenden Elementen stilisiert wurden. Je nachdem, wem man gerade schmeicheln wollte, halt dann dieser oder jener.

Interessant auch, wie ab der Mitte des Romans die Truppe von Liu Bei plötzlich die Armee der Han genannt wird. Luo Guonzheng folgt damit der von Liu Bei herausgegebenen Doktrin, dass er (Liu Bei) legitimes Mitglied der Han-Familie und damit legitimer Nachfolger des ermordeten letzten Kaisers sei. Tatsächlich war er ziemlich sicher ein Emporkömmling aus niederen Verhältnissen.

Objektiv gesehen ist keiner von all diesen War-Lords ethisch-moralisch besser als der andere. Die Periode dieses Interregnums muss eine der blutigsten in der Geschichte Chinas gewesen sein.
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Re: Luo Guanzhong: Die Geschichte der Drei Reiche
« Reply #14 on: 08. Juli 2013, 20.21 Uhr »
S. 870 (von + 1'330), Kapitel 79 (von 120): Cao Cao stirbt. Sein Sohn, Cao Pi übernimmt die Würde eines Königs von Wei, und bald danach zwingt er den letzten Kaiser der Han-Dynastie zur Abdankung. Erst jetzt, im Jahr 220 u.Z., beginnt nach Ansicht der Historiker jene Zeit des Interregnums, die die Zeit der Drei Reiche genannt wird. (Im Englischen: "Königreiche", aber das ist unkorrekt: Cao Pi hat ja den Kaiser abgesetzt und sich selber zum Kaiser erklärt - von der kurzlebigen Dynastie der Wei -, und Liu Bei übernimmt nun ebenfalls die Kaiserwürde, angeblich, um seinen angeblichen Verwandten zu rächen und die Kaiserwürde nicht aus der Famile Han zu lassen, in Tat und Wahrheit gründet er die - noch kurzlebigere - Dynastie der Han-Shu. Wir haben also hier drei Kaiserreiche vor uns.) Das Interregnum sollte übrigens nur kurz dauern, keine 100 Jahre...
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