Hallo!
Eines der bekanntesten Bücher der Wissenschaftstheorie der letzten 40 Jahre, wobei man - wenigstens heute - nicht mehr wirklich den Grund dafür erkennen kann. Oder aber doch: Wird hier ja das Hohelied des Methodenanarchismus gesungen und kann sich daher ein jeder noch so dubioser Scharlatan bestätigt fühlen. Eher überraschend, dass das Buch auch in wissenschaftlichen Kreisen ernst genommen wurde, was aber am Autor liegt: Der neben diversen Machwerken auch Hochwertiges zum Thema Wissenschaft produziert hat.
Feyerabend will also Methodenvielfalt - um jeden Preis. Er regt an, sich mit verschiedensten Theorien zu beschäftigen, Wissenschaftsgeschichte ernst zu nehmen, sich mit allem und jedem auseinanderzusetzen, um die eigene wissenschaftliche Arbeit kreativer zu gestalten. Insofern ist gegen diesen seinen Entwurf nichts zu sagen: Selbstverständlich sollte Geisteswissenschaftliches nicht ausgeblendet werden, bedarf es auch für die naturwissenschaftliche Forschung eines großen Maßes an Phantasie, an Gedankenreichtum. Man kann auch aus dem Physikkonzept des Aristoteles noch etwas lernen, möglicherweise Anstöße für eine neue kreative Lösung finden. Wie etwa auch Einstein seine Relativitätstheorie genuin philosophischen Überlegungen zu verdanken vorgab. Da dies alles aber ohnehin selbstverständlich und common sense ist (obwohl in den 70igern die Verhältnisse vielleicht rigider waren), stellt sich die Frage, gegen wen sich das Buch diesbezüglich richtet (ich jedenfalls kenne keinen Naturwissenschaftler, der auf eine solche Weise beschränkt agieren würde wie der von Feyerabend implizit mitgedachte). So gleicht das - zumindest in diesem Bereich - dem Einrennen offener Türen. Wobei das natürlich auch ein rhetorischer Trick zu sein pflegt (ähnlich agierten auch die Vertreter der Kritischen Theorie gegenüber den logischen Empiristen): Man sucht sich eine extreme, unhaltbare Position (die niemand mehr ernsthaft vertritt, bei Feyerabend etwa der Ethnozentrismus des Westens), macht in dieser Position Widersprüche aus und verdächtigt dann alles, was einem nur irgend gegen den Strich geht, ebenfalls Anhänger dieser Position zu sein. (So wurde Popper von den Anhänger der Kritischen Theorie des Positivismus geziehen, wobei er selber sich als ärgster Feind und Totengräber bzw. Mörder desselben ansah.)
Dieses Plädoyer für Vielfalt und Kreativität kann man also unterschreiben - und es dürfte darüber auch große Einigkeit herrschen. Allerdings - wie erwähnt - schüttet Feyerabend das Kind mit dem Bade aus und erklärt etwa die obskursten Eingeborenenmythen oder magischen Rituale zu vollwertigen Wissenschaftsalternativen. Das "wie" dieses Vorgangs erstaunt: So meint er etwa, dass man den Regentänzen der Hopi ihre Wirksamkeit nicht absprechen könne, weil man ja fragen kann, ob es irgendeinen Hinweis gäbe, dass diese Zeremonien unter geeigneten Umständen nicht vielleicht Erfolg haben könnten. (Hervorhebung durch Feyerabend) Und nach weiteren vier Seiten und der Erwähnung diverser Mythen kommt er zum Schluss, dass "die Beispiele (...) des Regentanzes zeigen, dass auch die fortgeschrittensten und scheinbar gesichertsten Theorien nicht sicher sind (...)". Allerdings hat er gar nichts gezeigt, sondern er hat einzig solche Regentänze beschrieben. Einen Beleg für die Wirksamkeit kann er nicht erbringen (was nicht erstaunt), aber er dreht die Beweislast durch den Satz des "vielleicht Erfolg haben könnten" um und tut so, als ob man die Wirkungslosigkeit nachweisen müsse. Gezeigt hat er einzig, dass er einen syntaktisch korrekten Satz mit Konjunktiv bilden kann - sonst nichts. Das aber ist völlig bedeutungs- und belanglos; und wenn ich heute Nacht beschlösse, einen Kopfstand im Schnee zu machen und dabei "Hänschen Klein" zu singen, was hinwiederum für morgen endlich den heiß ersehnten Frühling garantiere, so wäre es durchaus möglich, auch diesen Satz mit einem Konjunktiv zu garnieren, denn: Ausschließen kann man die Wirksamkeit des orzifarschen Kopfstandes auf die Großwetterlage mitnichten. Könnte. Wäre. Würde. Oder so ...
Insgesamt bewegt sich das Buch zumeist auf diesem etwas peinlichen Regentanzniveau - und das macht das Lesen zu keinem wirklichen Erlebnis - im Gegenteil: Die meisten Gedanken sind einfältig und dumm - und würden bestenfalls meinem nachbarlichen Guru (zum Glück doch einige hundert Meter von meinem Domizil entfernt) zu Freudensprüngen Anlass geben. Dieser hoppelt etwa nackicht mit seinen Anhängern zu Vollmond auf einem Trampolin herum und verkauft den Teilnehmern im Anschluss 30 ml Fläschchen mit einer potenzfördernden Essenz zu horrendem Preis. Und weil gerade dieser Anwohner das offensichtliche Zielpublikum des Buches bildet, bin ich über die Resonanz, die das Buch in wissenschaftlichen Kreisen erfahren hat, mehr als erstaunt. Wie auch immer: Ob ich bis zum Ende durchhalten werde will ich bezweifeln. Es lohnt sich nicht wirklich. Bis zum nächsten Projekt der Kuhnschen Revolutionen muss ich mir eine Auszeit von diesen Unsinnigkeiten gönnen.
lg
orzifar