Author Topic: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie  (Read 5691 times)

Offline sandhofer

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Hallo zusammen!

So, endlich ausgepackt. 4 Bände à je rund 330 Seiten. Mit Bibliografie (pro Kapitel)

Band 1 (Antike) umfasst folgende Hauptkapitel:

1 Die Anfänge: Von Pythagoras bis Platon
2 Schulen des Denkens: Von Aristoteles bis Augustinus
3 Richtiges Argumentieren: Logik
4 Das Wissen und seine Grenzen: Erkenntnistheorie
5 Wie Dinge geschehen: Physik
6 Was es gibt: Metaphysik
7 Seele und Geist
8 Das rechte Leben: Ethik
9 Gott

Also, wenn ich das richtig sehe, zuerst einen allgemeinen Rundschlag, eine Reise durch die zu behandelnde Epoche, dann eine nochmalige Aufbereitung nach philosophischen Einzel-Disziplinen. Die Hauptkapitelüberschriften sind ja zum Teil ein bisschen auf "Philosophie für Dummies" getrimmt - aber diese Vorgehensweise verspricht, interessant zu werden.

Grüsse

sandhofer

PS. Hauptkapitel ist eigentlich ein Pleonasmus ...  :-[
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #1 on: 14. März 2013, 06.58 Uhr »
Impressionen nach den ersten beiden Kapiteln: Es liest sich gut und flüssig. Kenny kann die Argumente der antiken Philosophen so darstellen, dass man folgen kann. Er vermeidet, die Antiken am Massstab einer aktuellen Philosophie zu messen. (Eine Einstellung, die er - für eine Philosophiegeschichte - sogar verwirft. Das gefällt mir.) Ähnlich wie Gomperz - aber ohne dessen blumichten Stil - stellt er die Theoreme der Antiken dar als Lösung auf damalige Fragen, aber immer unter Hinweis darauf, was an der Frage noch aktuell ist - und da findet er verblüffend viel. (Mit andern Worten: Er wendet sich auch vehement gegen die Einstellung "Was liest du den alten Quatsch; heute haben wir ganz andere Probleme!", die wohl jeder mal hört, der mehr und Älteres liest als die Gebrauchsanweisung zu seinem momentanen Handy.)

Bisher eine sehr empfehlenswerte Philosophiegeschichte.   :)
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BigBen

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #2 on: 14. März 2013, 08.01 Uhr »
Bisher eine sehr empfehlenswerte Philosophiegeschichte.   :)

Liegt schon bereit. Hätte ich als nächstes gelesen, wenn sich Lichtenberg nicht dazwischen gedrängelt hätte.  ;)

Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #3 on: 23. März 2013, 10.03 Uhr »
Band 2 - Mittelalter

Kenny behauptet zwar, auch im zweiten Band nach der bewährten Methode vorzugehen (zuerst einen allgemeinen Rundschlag, eine Reise durch die zu behandelnde Epoche, dann eine nochmalige Aufbereitung nach philosophischen Einzel-Disziplinen), mir will aber beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses scheinen, dass er vor allem letzteres tut. Aber ich lasse mich mal überraschen; bisher gefällt mir diese Philosophiegeschichte ausnehmen.

Grüsse

sandhofer
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #4 on: 24. März 2013, 19.21 Uhr »
Die ersten beiden Kapitel von Band 2 rezipiere ich etwas durchzogen. Während ich in Kapitel 1 noch begrüsst habe, dass Kenny auch die arabischen Philosophen aus El-Andalus miteinbezieht, ist das zweite, rein europäische, etwas enttäuschend. Man merkt, dass Kenny nicht in der mittelalterlichen Philosophie gearbeitet hat. Er schindet Zeit und Zeilen, indem er die Geschichte der kritischen Editionen einzelner Autoren referiert und ob, wann und durch welchen Papst welcher Scholastiker nun heilig oder seelig gesprochen wurde ...

Dann fehlen mir Dionysius Aeropagita fast gänzlich und Lullus ganz. Meister Eckhart wird komplett in die mystische Ecke gedrängt. Dafür nimmt der Brite Kenny einen gewissen Wyclif als Philosophen ernst; eine Einschätzung, der ich auch nach der Lektüre des völlig ihm gewidmeten Unterkapitels nicht folgen kann. Vielleicht ist man als Deutschsprachiger voreingenommen, aber Albertus Magnus, Eckart und Nikolaus von Kues halte ich für bedeutend wichtigere Philosophen, als den - wenn überhaupt - nur theologisch interessierenden Wyclif. Vielleicht ändert sich mein Bild von Band 2 noch in den folgenden, themen- und nicht personenbezogenen Kapiteln. Aber im Moment könnte ich Band 2 nicht so uneingeschränkt empfehlen wie Band 1.
« Last Edit: 24. März 2013, 19.31 Uhr by sandhofer »
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #5 on: 29. März 2013, 19.29 Uhr »
Er wird besser in den folgenden Kapiteln. Wie ich überhaupt das Gefühl habe, dass eine Ideengeschichte ihm mehr liegt als eine personenbezogene Philosophiegeschichte. Etwas Nettes aus Band 2, zu Thomas von Aquin, bzw. dessen Physik - im Zusammenhang allerdings mit Astrologie:

Denjenigen, die behaupten, Astrologen könnten den Ausgang von Kriegen wahrheitsgemäß vorhersagen, antwortet Thomas, dies liege daran, dass die Mehrheit der Menschen von ihrem freien Willen keinen Gebrauch mache und sich stattdessen den Leidenschaften des Körpers hingebe. Daher können Astrologen statistisch zuverlässige Vorhersagen machen, das Schicksal einer einzelnen Person vorhersagen können sie jedoch nicht. (S. 191)

Erinnert mich irgendwie an etwas ...  :D Hm ... eigentlich müsste ich nun auch die andere Summa des Aquinaten lesen, die Summa Theologiae ...

(Womit Kenny zweifelsohne einen Zweck seiner Philosophiegeschichte bei mir erreicht hat: Er hat mich neugierig gemacht auf den Originaltext.)
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #6 on: 31. März 2013, 16.28 Uhr »
Band 3: Der Äger mit den Druckfehlern geht weiter - ja, wird immer grösser. Da sind bei der Schilderung der Zusammenarbeit von d'Alembert und Diderot offenbar ganze Sätze verloren gegangen.  >:(
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BigBen

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #7 on: 31. März 2013, 16.30 Uhr »
Band 3: Der Äger mit den Druckfehlern geht weiter - ja, wird immer grösser. Da sind bei der Schilderung der Zusammenarbeit von d'Alembert und Diderot offenbar ganze Sätze verloren gegangen.  >:(

Das solltest Du der WBG mitteilen.

Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #8 on: 31. März 2013, 20.56 Uhr »
Das solltest Du der WBG mitteilen.

Die WBG sollte litteratur.ch lesen ...  ;D
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #9 on: 01. April 2013, 21.01 Uhr »
Bd. IV: Moderne. Kenny will auf den Neukantianismus verzichten; dafür führt er Freud und Derrida auf. Wenn das mal gut geht ...
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Offline orzifar

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #10 on: 06. April 2013, 03.36 Uhr »
Bd. IV: Moderne. Kenny will auf den Neukantianismus verzichten; dafür führt er Freud und Derrida auf. Wenn das mal gut geht ...

Derrida gehört neben den anderen postmodernen französichen Philosophen sicher zu den absoluten Großmeistern völlig sinnfreier Wortzusammenstellungen. Während der Neutkantianismus (wie ich jetzt in dem sehr lesenswerten Buch von Breil gesehen habe) sehr viel und Produktives zur Wissenschaftstheorie beigetragen hat.

lg

orzifar
Derzeitige Lektüre:

Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
Mareike Fallwickl: Das Licht ist hier viel heller
Marshall Sahlins: Neue Wissenschaft des verwunschenen Universums. Eine Anthropologie fast der gesamten Menschheit

Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #11 on: 06. April 2013, 11.01 Uhr »
Derrida gehört neben den anderen postmodernen französichen Philosophen sicher zu den absoluten Großmeistern völlig sinnfreier Wortzusammenstellungen.

Vielleicht kann ihm Kenny ja einen Sinn abgewinnen. So, wie ihm das bei Hegel gelungen ist, den er - ganz im Gegensatz zu Russell - gar nicht negativ bespricht.
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #12 on: 07. April 2013, 16.11 Uhr »
Band IV

Wieder so ein englischer Lokalphilosoph: John Henry Newman. Was interessiert mich ein anglikanischer Priester, der katholisch wird? Etwas mehr Peirce wäre mir lieber gewesen. Und Nietzsche unmittelbar an Schopenhauer angeschlossen.

Das Kapitel über Frege allerdings macht Lust auf mehr. Ich habe seit Jahrzehnten keinen Frege mehr gelesen.  :(

Bis jetzt - S. 56 - aber keine Druckfehler gefunden.  :)
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #13 on: 07. April 2013, 19.59 Uhr »
Vielleicht kann ihm Kenny ja einen Sinn abgewinnen.

Kann er nicht. Nachdem er ihm noch zugibt, in seinen allerersten Schriften so etwas wie eine Vermittlung zwischen der kontinentalen Philosophie (Husserls Phänomenologie) und der angelsächsischen (Ayers Sprechakte) gewesen zu sein, meint er über den späteren Derrida, u.a.:

"Im Spätwerk Derridas gibt es keine Lehren, die man vorstellen könnte." (IV, S. 105)

Und:

"Es ist jedoch nicht überraschend, dass sein Ruf in philosophischen Seminaren nicht denselben Ruf erreichte, den er in literaturwissenschaftlichen Seminaren genoss, deren Vertreter weniger geübt darin sind, echte von falscher Philosophie zu unterscheiden." (dass., S. 106)

Er hätte noch hinzufügen müssen, dass sich aber die Literaturwissenschafter weiss-nicht-was darauf einbildeten, babbeln zu können wie der Meister. So jedenfalls meine Erfahrung.  :angel:
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Offline sandhofer

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Re: Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie
« Reply #14 on: 10. April 2013, 09.11 Uhr »
Der letzte Band nimmt sich in Bezug auf Druckfehler etwas zurück. Oder ich sehe sie schon nicht mehr ...

Dafür ärgert mich gerade etwas anderes. Die Texte der besprochenen Philosophen werden ja auch zitiert, und die Zitate über Sigeln nachgewiesen. Warum heisst "Die Welt als Wille und Vorstellung" dann nicht "WWV", sondern "WWI"? Oder die "Philosophischen Untersuchungen" "PI" und nicht "PU"? Genau: Weil mit englischen Sigeln und Seitenangaben zitiert wird, und die deutschen Angaben nur als Fussnote hinzugefügt. Auch bei Titeln, die auf Deutsch geschrieben wurden und auf Deutsch zuerst erschienen sind.

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass hier Lektorat und Korrektorat geschludert haben. Der Inhalt wäre so übel nicht, aber so gewinnt die WBG bei mir keinen Blumentopf.
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