Author Topic: Die Horen eine Monatsschrift, von einer Gesellschaft verfaßt und hg. v. Schiller  (Read 255706 times)

Offline sandhofer

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Die letzte Nummer: Alles, was ansatzweise lyrisch zu nennen ist, ist - Kitsch. Einsiedels Utopie endet auch mit einer merkwürdigen Coda. Hirts Aufsatz zur Laokoon-Gruppe ist noch das beste. Aber vom Hocker reisst einen auch der nicht.
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

Offline sandhofer

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Fertig Horen. Der letzte Beitrag nun auch im Blog.
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Offline Gontscharow

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Hallo sandhofer,

Du warst fleißig zum Jahresende und hast ausgemistet! Gut so, zum Jahreswechsel soll man sich von Ballast und Überlebtem trennen. In manchen Ländern wirft man zu Silvester symbolisch und ganz konkret alten Hausrat aus dem Fenster… Ich komm erst heute dazu.

Deinen Einlassungen zu 12/1797  hab ich kaum etwas hinzuzufügen. Zur Verteidigung der „vorher nicht in Erscheinung getretenen“ Louise Brachmann sei vielleicht noch gesagt, dass sie bei Erscheinen der letzten Nummer erst knapp zwanzig war. Ihre Gedichte wurden Schiller von Novalis empfohlen, weitere sind in Schillers Musenalmanach erschienen. Von Müllner später als die deutsche Sappho bezeichnet, wegen ihres Schicksals (sie drehte durch und nahm sich schließlich das Leben) oft mit Karoline v. Günderode verglichen, soll sie immerhin nachfolgenden Dichtern Anregungen gegeben haben, z.B C.F. Meyer …

In Bezug auf Einsiedels Utopie bestätigtest Du mir in einem Deiner Posts, dass Utopien, weiß der Himmel warum, irgendwie die Tendenz haben, rückwärts gerichtet zu sein. Schlimmer, sie weisen (fast) immer auch faschistische Spurenelemente auf. In Einsiedels Utopie heißt die Kaste der Bauern die Nährenden. Hat Goebbels das gelesen? Reichs-Nährstand war die Bezeichnung für die  Bauern im 3. Reich.
Die Coda, finde ich, reißt das ganze ein bisschen heraus,weil ironisch zurücknommen wird.

Zu den  Horen als ganzes: Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen(Wallenstein)
Hoch im Anspruch, kläglich in der Realisierung, sind die Horen für mich eine einzige Demonstration dieses Satzes, den Schiller1797 - vielleicht auch im Hinblick auf sein dahinsiechendes Horen-Projekt -  dem Wallenstein in den Mund legt.
Es stimmt leider, bis auf die unabhängig von den Horen bereits bekannten Texte ist die Mehrzahl der Beiträge kaum wert gelesen zu werden. Verborgene literarische Schätze habe ich nicht gefunden. Für das Scheitern der Horen auf ganzer Linie mag es viele Gründe geben, einer ist sicher das Politisierungsverbot, das zur Auflage für Beiträger gemacht wurde. So wird der Leser, dem ganz anderes auf den Nägeln brennt in dieser politisch brisanten Zeit,  mit  ästhetischen, poetologischen und anderen weltfremden Themen abgespeist.  Alles, was irgendwie  spannend, konfliktgeladen oder aktuell ist, wird abgewürgt und hinausgedrängt. Nun gut, der Weg zur Freiheit soll über das Schöne gehen, gab Schiller in seiner Revolutionsvermeidungsschrift Ä.E. die Devise aus und sie hat einiges für sich. Aber was in den Horen übrigbleibt, ist brav, bieder, konservativ, von jeglicher Brisanz und Lebendigkeit gereinigt, steril und sterbenslangweilig. Die präferierte „lyrische“ Gedichtform ist das Dinggedicht: der Dorffriedhof, der Spaziergang, die Eichbäume. usw. Kurzum, den Horenerzeugnissen mit ihrer Verdrängung und Verleugnung der Realität fehlt es - um im Jargon der Klassik zu sprechen - am Wahren. Und das Wahre ist Vorbedingung für das Gute und Schöne. Rien n’est beau que le vrai - wie Schiller und  die Horen wissen.

Ich gratuliere uns zu unserer Leserunde, zu unserem Durchhaltevermögen bei dieser strohtrockenen Lektüre. ;) Die Horen von A bis Z gelesen zu  haben, kann kaum jemand von sich sagen!Der Kommentator unserer Ausgabe jedenfalls nicht.

Ich habe trotz  allem unendlich viel  durch die Beschäftigung mit den Horen gelernt: über die Weimarer Klassik, über Goethe &Schiller usw. Mit letzterem bin noch nicht fertig. >:D
« Last Edit: 02. Januar 2016, 23.51 Uhr by Gontscharow »

Offline sandhofer

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Ich gratuliere uns zu unserer Leserunde, zu unserem Durchhaltevermögen bei dieser strohtrockenen Lektüre. ;) Die Horen von A bis Z gelesen zu  haben, kann kaum jemand von sich sagen!Der Kommentator unserer Ausgabe jedenfalls nicht.

Da sagst Du was. Wobei ich zugebe, dass ich - z.B. beim unsäglichen Benvenuto Cellini - meist nur durchgeblättert habe ...
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Offline sandhofer

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Ich möchte - ganz zum Schluss - noch allen danken, die mehr oder weniger lang durchgehalten haben. Es war ein interessantes Experiment.  :yodel:
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Offline Gontscharow

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Experiment?? Was sollte denn versucht, bewiesen, geprüft o.ä. werden? Und wie steht es mit dem Resultat?

Offline sandhofer

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Experiment:

Kann man eine Zeitschrift 218 Jahre nach ihrem Erscheinen noch so lesen, wie sie damals gelesen wurde? Wenn es eine für die literarische Entwicklung wegweisende Publikation war? So lesen, dass man in monatlichen Abschnitten liest und denkt, d.h., die Artikel auch ein bisschen aufeinander bezieht? Versucht, zu verdrängen, wie es weitergeht – mit der Geschichte, mit dem Artikel, mit der Zeitschrift? (http://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=3080)

Resultat:

Nein, man kann nicht: Mit diesem Beitrag ziehe ich auch einen Schlussstrich unter drei Jahre regelmässiger Lektüre von Schillers Horen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass eine intensive und regelmässige Auseinandersetzung mit Schillers Vorzeigeprojekt dazu geführt hat, dass der eine oder andere Beitrag in mein Blickfeld gerückt ist, den ich sonst überlesen bzw. nicht beachtet hätte. Was bleibt, ist aber auch die Erkenntnis, dass die meisten Beiträge einer Lektüre kaum wert gewesen sind. (http://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=6906)
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