Was lässt sich zur "Ästhetischen Erziehung" sagen?
Vielleicht beginnen wir mit den grundsätzlichen Aussagen Schillers:
1. Es ist die Aufgabe der Kultur, den Menschen ästhetisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen Zustand sich der moralische entwickeln kann.
2. Schönheit erzieht zur Freiheit von Leidenschaften. Deshalb gelangt der Mensch durch die Schönheit zu Freiheit und Vernunft.
Und nun das Stärkste:
3. Gleichgültigkeit gegen die Realität und Interesse an Spiel und Schein sind Erweiterungen des Menschseins und ein entscheidender Schritt zur Kultur.
Punkt 1) hängt natürlich mit der Idee zusammen, dass eine Menschheit, die schön, hoch und vornehm von sich denkt, ebenso schöne und moralisch hochwertige Taten vollbringt. Ob das stimmt, ist schwer zu entscheiden. Faszinierend ist dieser Gedanke allemal, zumal für Menschen, die pädagogisch tätig sind.
Punkt 2) Schon Wieland hat sich immer wieder lustig gemacht über die Leidenschaft erzeugenden, zutiefst verlogenen Romane seiner einerseits empfindsamen, andererseits stürmenden und drängenden Zeitgenossen. Ruhige Abgeklärtheit ist offensichtlich auch für Schiller ein anzustrebendes menschliches Ideal. Ich finde diesen Gedanken recht sympathisch.
Punkt 3) Die Vernachlässigung der schnöden Realität zugunsten des schönen Scheins (der Kunst, des Theaters) sowie der Gedanke der künstlerischen Tätigkeit nicht nur als Befreiung, sondern als eigentliche Bestimmung des Menschen, ist die schöne Kampfansage gegen die Vernünftelei der Jakobiner und anderer extremer Anhänger des aufklärerischen Fortschrittsglaubens. Nach Schiller dauerte es ein knappes Jahrhundert, ehe erneut jemand ähnliche Gedanken äußerte: Fr. Nietzsche.
Es steckt also eine Menge Zündstoff in der "ästhetischen Erziehung".