Author Topic: Mo Yan: Der Überdruss  (Read 3005 times)

Offline sandhofer

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Mo Yan: Der Überdruss
« on: 04. November 2012, 19.09 Uhr »
Hallo zusammen!

Es ist selten, dass ich Literatur-Nobelpreisträger lese, wenn ich sie noch nicht vorher gelesen habe. Die letzte war Jelinek (was ich nicht bedauert habe), der vorletzte Patrick White (was ich bedauert habe). Nun also Mo Yan.

Zugegeben, mehr als das erste Kapitel (also so ein rundes halbes Dutzend Seiten) habe ich noch nicht gelesen. Die Affichage des Magischen Realismus scheint aber zu Recht zu bestehen. Sogar mehr Magie, als im Magischen Realismus südamerikanischer Provenienz, den ich vorwiegend kenne, üblich. Aber im Moment mag ich es. Der Überdruss hat die Potenz, eines meiner Jahreshighlights zu werden, wenn's so weitergeht.

Grüsse

sandhofer
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Offline sandhofer

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #1 on: 07. November 2012, 19.59 Uhr »
Nach den ersten paar Kapiteln - rund 80 Seiten - kann ich nur wiederholen, dass mir der Text sehr gefällt. Der ehemalige Grossgrundbesitzer als Esel bei seinem ehemaligen Knecht - das hat was.
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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #2 on: 22. Dezember 2012, 16.24 Uhr »
Der Esel ist mittlerweile tot - erschlagen und in Streifen geschnitten während einer Hungersnot. Doch der ehemalige Grossgrundbesitzer und nachmalige Esel kommt als Stier erneut zur Welt. Das Buch des Stiers wird allerdings nicht - wie beim Esel - vom Tier selber erzählt, sondern diesmal ist es ein Mensch, der erzählt. Und es offenbar einer weiteren Wiedergeburt des alten Grossgrundbesitzers erzählt.

Wenn ich mir nur die chinesischen Namen alle merken könnte ... Das ist fast so schlimm wie seinerzeit bei Solschenizyn ...
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Offline sandhofer

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #3 on: 23. Dezember 2012, 09.39 Uhr »
Buch 2 ist fertig, und damit auch der Stier gestorben - getötet von seinem eigenen Sohn (den er natürlich nicht als Stier gezeugt hat, sondern damals noch als menschlicher Grossgrundbesitzer und der nun als halberwachsener Rädelsführer einer Roten Garde im Dorf wütet).

Somit komme ich heute noch zum Eber.
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Offline sandhofer

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #4 on: 23. Dezember 2012, 16.06 Uhr »
In Buch 3 erzählt Ximen Eber wieder selber. Im Gegensatz zu den beiden andern Büchern sind hier auch Pseude-Langzitate aus den Romanen bzw. Erzählungen von Mo Yang eingefügt. Denn dieser Mo Yang soll ja ebenfalls ein Bewohner des kleinen Nests gewesen sein, in dem Ximen in verschiedensten Formen sein Leben verbringt.

Und, ach ja: Ob als Esel, als Stier oder nun als Eber - immer ist die Fortpflanzungsfähigkeit des jeweilen Ximen ein zentraler Punkt, über den er sich offenbar definiert ...  ;D
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Offline sandhofer

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #5 on: 23. Dezember 2012, 18.28 Uhr »
Buch 3 ist eines der längeren. Vielleicht gerade darum, weil der Eber wieder selber erzählt und er nun nicht mehr Privatwirtschafter ist? Jedenfalls ist er nun gestorben, indem er noch ein paar seiner (als Mensch gezeugten) Kinder aus einer Überschwemmung mit Eisschollen rettet.
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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #6 on: 24. Dezember 2012, 15.52 Uhr »
Buch 4: Ximen Hund. Ich habe es als das bisher schwächste empfunden, was daran liegen mag, dass dieses Kapitel zum grossen Teil nicht auf dem Dorf sondern in der Bezirkshauptstadt spielt, auch zum grossen Teil nun die Kinder und Enkel der bisherigen Protagonisten eine Rolle spielen. Das ist zwar natürlicher Teil einer Entwicklung, hat mich aber irgendwie aus dem Konzept gerissen. Auch fehlte zum ersten Mal das pikareske Element dessen, dass da ein sehr potentes Exemplar der jeweiligen Gattung nicht nur die Geschichte der Menschen sondern auch die eigenen sexuellen Grosstaten erzählt. (Hier wechseln sogar ein menschlicher Protagonist und der Hund im Erzählen miteinander ab; wohl, weil der Hund in der Stadt lange nicht alles wissen kann.)

Wohl gefühlt habe ich mich erst wieder, als wir zum Kapitelende wieder auf dem Dorf waren. Lan, der letzte Privatwirtschafter, stirbt zum Kapitelende - zusammen mit dem Hund. Nun wartet noch die Reinkarnation als Affe auf uns.
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Offline sandhofer

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #7 on: 25. Dezember 2012, 14.51 Uhr »
Das Affenkapitel ist das kürzeste, keine 30 Seiten lang. Gleichzeitig das wirrste, wie ich finde. Hier erzählt nun die Figur Mo Yan selber. Irgendwie scheint es sich aber nur darum zu handeln, dass möglichst viele der noch existierenden Figuren ihren Tod finden sollen. Zum Schluss das Grosskopfkind als bisher letzte Inkarnation von Ximen. Wasserkopf. Bluter. Aber wenig damit anzufangen ...
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Offline Gontscharow

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Re: Mo Yan: Der Überdruss
« Reply #8 on: 25. Februar 2013, 17.41 Uhr »

Im neuesten Spiegel gibt es ein Interview mit MoYan, der ja publikumscheu sich bislang mit Interviews sehr oder ganz zurückgehalten hat. Der Interviewer versucht ihn auf den Widerspruch zwischen der Kritik in seinen Werken und seiner Regime-und Parteitreue im Leben festzunageln. Was dabei herauskommt, macht an Skurillität dem Verfasser vom Überdruss alle Ehre und Lust, sein neuestes Buch Frösche zu lesen.
Ich habe Überdruss schon vor der Nobelpreisverleihung gelesen. Ich finde es ganz wunderbar, erschütternd in seiner historischen und biographischen Authentizität und als Satire einfach umwerfend witzig. Es hat mir China (wieder) nähergebracht, das mir fremd und unverständlich war.  Wenn darüber ganz China lacht, kann es um die Menschen so schlimm nicht bestellt sein.