Author Topic: Daniel Glattauer: Darum  (Read 1199 times)

Offline orzifar

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Daniel Glattauer: Darum
« on: 27. Juni 2012, 18.42 Uhr »
Hallo!

Glattauer, früher(?) Journalist, versucht sich hier in einem Kriminalroman. Und es gelingt ihm durchaus, die Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten, auch wenn so manche Konstruktionen (die die Handlung des Romans zu tragen gezwungen sind) abstrus anmuten. Stellt sich die Frage, was denn ohne solche abenteuerlichen Wendungen (wie einer Untersuchungsrichterin, die mit dem Häftling schläft) oder ihr - mehr als abenteuerliches - Konzept der Befreiung desselben von dem Roman bliebe. Dann müsste man sich auf die Hauptfigur, den Journalisten Haigerer, konzentrieren, einen brav funktionierenden, immer tüchtigen, in seinen Träumen hingegen enttäuschten und im Geheimen frustrierten Menschen, der dessen ermangelt, was er selbst (in seinem früheren Beruf als Lektor) u. a. als konstituierend für einen Roman eingemahnt hat: Eine er- und gelebte Handlung, keine ausgedachte, konstruierte.

Die Beschränkung der Darstellung auf einen in der Midlife-Crisis befindlichen Gutbürger wider willen hätte dem Buch mit Sicherheit weniger Leser beschert, wiewohl gutgetan. Irgendwie will mir scheinen, dass da jemand sein Talent verschleudert, jemand, der mit Rücksicht auf das prospektive Publikum schreibt (K. Kraus würde ihn zerreißen), der auf Effekte bedacht ist und deshalb glaubt, allerhand Spannungsmomente in seinen Roman einbauen zu müssen. Dass da jemand im Wunsch, das Leben zu spüren, auszubrechen, sein bürgerliches Dasein hinter sich zu lassen, Mordphantasien entwickelt, den Traum des großen Schriftstellers träumt, obwohl ihm nur ein Dasein als Lektor beschieden ist, dass da also jemand auf der Suche nach dem großen Sich-Spüren, dem wahren (Er-)Leben ist, scheint als Dreh- und Angelpunkt des Romans durchaus ausreichend. Diese Welt des Versagens, Scheiterns, Träumens, Verzeifelns zu entwerfen, psychologisch subtil die Entwicklung dieser Frustrationen nachzuzeichnen, wäre Aufgabe genug gewesen - und hätte ein lesbares Psychogramm des Versagens ergeben können. Die Umsetzung mit Mord, kopulationsbereiter Untersuchungsrichterin nebst Befreiung des Delinquenten mittels einer mehr als abenteuerlichen Konstruktion (die selbst der dümmsten Justiz nicht durchgegangen wäre), macht das Ganze zwar spannend, lässt den Leser aber schließlich doch unbefriedigt zurück. Das Erfundene, Erdichtete nimmt überhand, der Kern des Romans, jener am Leben und an den eigenen Ansprüchen Scheiternde wird zur Marginalie. Schad d(a)rum ...

lg

orzifar
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