Author Topic: Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes  (Read 101422 times)

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #15 on: 22. Februar 2011, 01.41 Uhr »
Ihr habt mich überholt, nach dem Zorn werde ich zu den beiden Kapiteln noch was schreiben.

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #16 on: 25. Februar 2011, 01.11 Uhr »
Hallo!

@mombour: Das über die Zusammenhänge zwischen Musik und Mathematik hatten wir schon mal: Ich behaupte ja nicht, dass ein Komponist während seiner Arbeit Kopfrechnungen anstellt oder Gleichungen mit mehreren Unbekannten löst. Aber der von Pythagoras entdeckte Zusammenhang zwischen Tonhöhe und Länge einer Seite (oder die halb gefüllten Gefäße) ist evident, auch Dinge wie das "Pythagoreische Komma" sind in ihrer Namensgebung nicht zufällig. Später hielt diese musikalisch-mathematischen Zusammenhänge Einzug in die Sphärenharmonie, das wird uns in der Philosophie der Antike noch des öfteren begegnen.

Interessant, was Russel über den Zusammenhang zwischen Mathematik, Rationalismus und metaphysischen Systemen schreibt. Philosophiegeschichtlich ist der Einfluss dieser "idealen" Welt des Denkens äußerst bedeutsam, erstmals wird hier die Vernunft auf den Thron gehoben und in seiner deduktiven Ausgestaltung unangreifbar. Platos Welt der Ideen (und damit das gesamte Christentum) sind, wie Russel andeutet, ohne diese idealisierten Objekten, nicht vorstellbar, der gesamte intelligible Kosmos des Christentums beruht auf solchen Entwürfen. Gleichzeitig damit entsteht eine Ablehnung bzw. geringe Wertschätzung der Realität, die ja als immer nur unvollkommen betrachtet werden kann, als ein mit Fehlern behafteter Versuch des Idealen. Weshalb auch empirische Forschung zu einem fragwürdigen Unternehmen wird, setzt sie sich doch immer nur mit dieser mangelhaften Wirklichkeit auseinander und kann daher ein nur unvollständiges Wissen liefern, während erst das rationale Durchdenken der Sachverhalte zur Wahrheit führen kann. Damit ist der Weg zu in sich geschlossenen, logischen metaphysischen System geebnet.

Hier wird eine erste große Teilung in Rationalismus (nebst metaphysisch-theologischen Ausprägungen) und Empirismus sichtbar, die uns im Laufe der Lektüre noch häufig begegnen wird. Das Kapitel halte ich für ausgezeichnet, möchte dazu noch die Fragmente der jüngeren Pythagoreer lesen (v. a. von Philolaos ist einiges überliefert).

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #17 on: 25. Februar 2011, 14.12 Uhr »
Weshalb auch empirische Forschung zu einem fragwürdigen Unternehmen wird, setzt sie sich doch immer nur mit dieser mangelhaften Wirklichkeit auseinander und kann daher ein nur unvollständiges Wissen liefern, während erst das rationale Durchdenken der Sachverhalte zur Wahrheit führen kann. Damit ist der Weg zu in sich geschlossenen, logischen metaphysischen System geebnet.


Das rationale Denken entsteht doch auch nur im Gehirn. Das Gehirn, die Physis, gehört auch zur "mangelhaften Wirklichkeit", denn ein Gehirn kann ja mal kränkeln(neurologische Erkrankungen) , und wir können dann evtl. nicht mehr so rational Denken (sensorische Aphasie) wie vorher. Was ist das denn für eine Wahrheit, die durch rationales Denken erkannt werden kann?
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #18 on: 25. Februar 2011, 14.52 Uhr »
Das rationale Denken entsteht doch auch nur im Gehirn. Das Gehirn, die Physis, gehört auch zur "mangelhaften Wirklichkeit", denn ein Gehirn kann ja mal kränkeln(neurologische Erkrankungen) , und wir können dann evtl. nicht mehr so rational Denken (sensorische Aphasie) wie vorher. Was ist das denn für eine Wahrheit, die durch rationales Denken erkannt werden kann?

Das Gehirn funktioniert als ein Teil der Wirklichkeit auch ohne zu kränkeln mangelhaft. Im Grunde geht es hier um die Idee (so ähnlich wie beim Descarteschen Gottesbeweis), dass etwas Ideales, das gedacht werden kann, auch existiert. Ob das nun die ideale geometrische Figur ist, ein allmächtiges Wesen etc. ist egal. Ich selbst bin keineswegs ein Anhänger dieses Rationalismus (falls du das vermutet haben solltest, was hoffentlich nicht zutraf ;)), ich fand aber die Russelsche Herleitung sehr gelungen. (Es geht hier ja vor allem um Ideengeschichte.) Und man sieht an diesen Konzepten auch, dass sehr vieles schon vor sehr langer Zeit gedacht wurde und sich bestimmte Probleme bis in unsere Gegenwart - leicht abgewandelt - erhalten. Der reine Rationalismus als ein in sich geschlossenes, stringentes System (wie in Russel selbst in der principia zu formulieren suchte), darf eigentlich als gescheitert gelten.

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #19 on: 26. Februar 2011, 00.30 Uhr »
Das rationale Denken entsteht doch auch nur im Gehirn. Das Gehirn, die Physis, gehört auch zur "mangelhaften Wirklichkeit", denn ein Gehirn kann ja mal kränkeln(neurologische Erkrankungen) , und wir können dann evtl. nicht mehr so rational Denken (sensorische Aphasie) wie vorher. Was ist das denn für eine Wahrheit, die durch rationales Denken erkannt werden kann?

Nebenbemerkung: Alles ist immer nur in uns, darauf werden auch Empiriker wie Hume nicht müde hinzuweisen. Es ist unser Bild eines Baumes (vielleicht perspektivisch verzerrt), unser Eindruck des Sonnenuntergangs, unsere Erinnerung an ein Ereignis - aber es ist immer etwas in uns. Wir haben keinen Zugriff auf die Welt um uns, sondern einzig die eigenen Empfindungen zur Verfügung, wir schreiben, wie Kant betont, der Außenwelt die Gesetze vor. Alles was außerhalb dieser unserer Vernunftmöglichkeiten liegt, ist reine Spekulation, wozu auch das reine Objekt, das Ding an sich gehört. Die reine Vernunft ist durch die spezifisch menschliche Sicht beschränkt in ihren Erkenntnismöglichkeiten, weshalb "Absolutheiten" jedweder Provenienz eine bestenfalls relative (nie absoluteI) Bedeutung haben können.

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #20 on: 26. Februar 2011, 07.56 Uhr »
Das rationale Denken entsteht doch auch nur im Gehirn. Das Gehirn, die Physis, gehört auch zur "mangelhaften Wirklichkeit", denn ein Gehirn kann ja mal kränkeln(neurologische Erkrankungen) ,

Hm ... da geraten wir aber nun in einen unendlichen Regress, oder? Woran erkenne ich das "kranke" Gehirn? Letzten Endes lege ich ja auch nur wieder den Massstab des Rationalen an.
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #21 on: 26. Februar 2011, 15.08 Uhr »
Hallo!

Das Kapitel über Heraklit ist - vorsichtig ausgedrückt - seltsam. Während er zu Beginn noch auf Geschichte, Herkunft der Heraklitschen Philosophie eingeht (man sollte den pythagoreischen Einfluss, auch wenn Heraklit ihn zu verachten vorgab, nicht unterschätzen, sind doch die Konzepte Wiedergeburt, Wiederkehr des Gleichen eng verwandt), auch - sehr zurecht - auf die Vernachlässigung empirisch-induktiver Methoden hinweist, die jeden praktisch-technischen Fortschritt sehr erschwerte, sieht er sich dann veranlasst, zahlreiche Fragmente schlicht zu zitieren, ohne dass ihre Bedeutung für das Gesagte wirklich klar würde. Er verfällt dabei in einen der Lieblingsfehler der Biographen, welche da meinen, möglichst umfangreich aus einem Werk zitieren zu sollen, dabei vergessend, dass so eine Biographie keine Zitatensammlung, sondern eine Metasicht, einen Kommentar, die Geschichte zu den Geschichten referieren soll und die Zitate keineswegs selbsterklärend sind, sondern als Demonstration des Gesagten figurieren sollen.

Auch die weiteren Ausführungen sind konfus, ein wenig schludrig, erinnern an (großer Name hin oder her) schnell zusammengepappte Seminararbeiten der philosophischen Fakultät. Und manches scheint überhaupt des Zusammenhangs zu entbehren, jedenfalls kein organisches Ganzes zu bilden. So kann ich zwar seinen Ausführungen bezüglich Suche nach Beständigem unter bestimmten sozio-politischen Umständen zustimmen, aber es passt nur mühsam in den Kontext und bedürfte weiterer Erklärungen.

lg

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #22 on: 27. Februar 2011, 08.47 Uhr »
Das rationale Denken entsteht doch auch nur im Gehirn. Das Gehirn, die Physis, gehört auch zur "mangelhaften Wirklichkeit", denn ein Gehirn kann ja mal kränkeln(neurologische Erkrankungen) ,

Hm ... da geraten wir aber nun in einen unendlichen Regress, oder? Woran erkenne ich das "kranke" Gehirn? Letzten Endes lege ich ja auch nur wieder den Massstab des Rationalen an.


Das Gehirn funktioniert als ein Teil der Wirklichkeit auch ohne zu kränkeln mangelhaft. Im Grunde geht es hier um die Idee (so ähnlich wie beim Descarteschen Gottesbeweis), dass etwas Ideales, das gedacht werden kann, auch existiert. Ob das nun die ideale geometrische Figur ist, ein allmächtiges Wesen etc. ist egal.

Das mit dem Gehirn oder kränkelndem Gehirn ist nur ein Beispiel. Nichts in der realen Welt, womit mit z.B. die Wissenschaft sich beschäftigt, ist vollkommen oder unbeständig wie z.B. ein aus der rationellen Idee heraus gedachtes "allmächtiges Wesen" sein soll. Die Vorstellung einer ewigen Welt (bei Pytahogaras ist es die Mathematik) ist eine Idee.

Zufällig habe ich einen Text aus den ind. Upanishaden (etwa 700-200v.Chr.) vor mit liegen:

Das Auge kann es nicht sehen;
der Verstand kann es nicht erfassen,
Das Unwandelbare hat weder Augen noch Ohren,
weder Hände noch Füße.
Weise sagen, es sei unendlich im Großen
und im Kleinen, immerwähreend und unveränderlich,
die Quelle allen Lebens.

Mundaka I, I.6-7

Quelle:  Aus dem Vorwort zum "Dhammapada" von Eknath Easwaran

D. h., dieses "Unwandelbare", dieses Vollkommene u.ä. kann nicht mit unseren Sinnen erfasst werden, es schwebt in den Köpfen einiger Philosophen nur als Idee.

Liebe Grüße
mombour
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #23 on: 27. Februar 2011, 09.58 Uhr »
Hallo!

Das Kapitel über Heraklit ist - vorsichtig ausgedrückt - seltsam.

Gut, dann bin ich nicht der einzige, dem dieses Kapitel aufgestossen ist.

D. h., dieses "Unwandelbare", dieses Vollkommene u.ä. kann nicht mit unseren Sinnen erfasst werden, es schwebt in den Köpfen einiger Philosophen nur als Idee.

Was ist mit der Mathematik? Sicherlich, sinnlich fassbar ist sie nicht - allenfalls ein paar geometrische Figuren, die - sehr unvollkommen - den mathematischen Gedanken z.B. eines "Dreiecks" illustrieren. Aber im Grunde genommen ist sie "unwandelbar", denn es ist ja nicht so, dass bei den alten Griechen 2+2=5 war und sich das geschichtlich nun so entwickelt hat, dass es heute =4 ist. Und wir gehen doch ja auch davon aus, dass schon beim Urknall 2+2=4 gewesen sein muss, selbst wenn da noch keiner da war, um das an den Fingern abzuzählen. Und selbst wenn die Menschheit sich und die Erde dann doch noch in die Luft jagt, wird sich nichts daran ändern, auch wenn jetzt keiner mehr da ist, den Satz auszusprechen. Aber als "Idee" würde ich sie nicht bezeichnen ...

Parmenides

Eigentlich geht es mir mit diesem Kapitel sehr ähnlich wie mit dem zu Heraklit. Zuerst ein paar Zitate. Dann nimmt sich Russell die Zeit, Parmenides' Argument, dass alles immer schon sei und nichts werde und nichts vergehe, sprachphilosophisch-logisch zu zerpflücken. Dazu bedient er sich eines beliebten Tricks der analytischen Sprachphilosophen, indem er jedesmal, wenn er dem Gegner beinahe Recht geben muss, sagt, dass dieser oder jener Satz "korrekt" halt eben ganz anders ausgedrückt werden müsse. (Nämlich so, dass er beweist, was der analytische Sprachphilosoph bewiesen haben will.) Dann, zum Schluss, in den letzten 4 oder 5 Sätzen dieses Kapitels, doch noch der Hinweis darauf, was Parmenides für die Philosophie gebracht hat: die Einführung der Substanz. Womit wir Parmenides verlassen.

Nicht ganz so schwach wie Heraklit, aber eines der schwächsten Kapitel bis jetzt.

Grüsse

sandhofer
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #24 on: 27. Februar 2011, 16.30 Uhr »
Zufällig habe ich einen Text aus den ind. Upanishaden (etwa 700-200v.Chr.) vor mit liegen:

Mit Verlaub: Die Upanishaden sind als philosophisches Argument ebenso wenig geeignet denn die einzelnen Fragmente der Vorsokratiker. Die bloße Aussage als richtig anzuerkennen wäre vergleichbar mit der Position eines Universalienrealismus; dann aber müsste dieser argumentativ begründet werden. Ein Unterfangen, für das Russel selbst dankbar gewesen wäre ;).

Das Problem besteht m. E. darin, dass mathematische Begriffe, welche innerhalb eines bestimmten Systems beweisbar sind, auf Gebiete der Ontologie übertragen werden. Die Zahl pi ist etwa innerhalb des Systems genau definiert, ebenso die Größe der Innenwinkel eines Dreiecks. Ausgehend von Axiomen hat es Euklid unternommen, aus diesen selbstevidente Wahrheiten abzuleiten. Hier, wie eben schon bei Pythagoras, ist reine Rationaliät am Werke (den die Ableitungen folgen deduktiven Regeln) - und berauscht von diesen Möglichkeiten versuchte Pythagoras (als auch sehr viele andere Rationalisten in seinem Gefolge, von denen Descartes beispielhaft erscheint mit seinem Suchen nach einem festen Dreh- und Angelpunkt der Philosophie) dieses System auf die "Welt" zu übertragen. Das scheitert nach meinem Dafürhalten schon deshalb, weil wir kein geschlossenes Begriffssystem für diese unsere Welt zur Verfügung haben - und selbst wenn, das System selbst nicht begründbar wäre (und der Baron Münchhausen und von und zu Guttenberg müssen für dieses Di- und Trilemma Pate stehen ;)).

Etwas anderes ist das Erkenntnisproblem, das ich ganz kurz in meinem letzten Posting mit dem Hinweis auf Kant zu erklären suchte. Wir müssen uns mit der Unzuverlässigkeit und den Antinomien unseres rationalen Apparates abfinden und diese Widersprüche einzig in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu nützen versuchen. Der von Sandhofer aufgezeigte Regress findet aber in dieser Form der Argumentation häufig statt und sollte vermieden werden; häufig erscheint er in der Form des aufgeschlossenen, um Spontaneität bemühten Menschleins, das abhold jeder Logik (welche es meist zu verachten vorgibt) durchs Leben wandelt und dieses sein "Spontan-Sein" ohne viel nachzudenken mit deduktiven Regeln begründet (meist jedoch nur solang, bis man auf den Widerspruch hinweist, worauf sofort wieder das Hohelied der Spontaneität und Unlogik gesungen wird, allerdings als logische Erwiderung;) - insofern ein doppelter Regress).

lg

orzifar

Felis, naja ... Besser geht's, aber nicht wirklich gut. Ständiges auf und ab seit drei Wochen, allerdings in den letzten Tagen mehr auf als ab. Soll so bleiben. Was aber endlich eingetreten ist: Dass nun der vormals Pflegende zum Pflegefall zu werden scheint.
« Last Edit: 27. Februar 2011, 16.36 Uhr by orzifar »
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #25 on: 27. Februar 2011, 16.54 Uhr »
Zwischenruf!

Im Sinne einer gedeihlichen Diskussion: Wir sollten darauf achten, die Argumente der besprochenen Philosophen, jene Russels und unsere eigenen auseinanderzuhalten. Ich versuche zuerst die Gedankengänge der Vorsokratiker nachzuvollziehen, sie im historischen Kontext zu begreifen, dann Russels Auslegungen und Interpretationen zu verstehen und erst daran anschließend - wenn überhaupt - eigene Kritik vorsichtig zu formulieren. Ich finde, dass eine solche Zurückhaltung angebracht ist, da das vorgebrachte Eigene häufig schon besser, subtiler formuliert oder auch widerlegt wurde. Sonst hat man es mit dem typischen Enthusiasmus des angehenden Philosophiestudenten zu tun, der begeistert von seinem eigenen Überlegungen nicht merkt, dass das Vorgebrachte alt, uralt, widerlegt, ungenau formuliert etc. ist. Man muss (und soll) das (philosophische) Rad nicht ständig neu erfinden. Nicht, dass man diesem Studenten einen Maulkorb verpassen sollte, aber man sollte sich in seinen Ausführungen dessen bewusst sein, dass es schon viele, recht intelligente Menschen gegeben hat, die sich über derlei Probleme den Kopf zerbrochen haben (und häufig zu widerstreitenden Ergebnissen gekommen sind). Das hat nun nichts mit Autoritätsglauben zu tun, sondern einzig mit Bescheidenheit. (Erinnert mich an Schachenthusiasten, die da glauben, neue, subtile Eröffnungswege beschreiten zu können und - außergewöhnliches Talent wie etwa bei Nakamura außen vor - samt und sonders Schiffbruch erleiden.)

lg

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #26 on: 28. Februar 2011, 02.14 Uhr »
Hallo!

Mir hat das Kapitel über Parmenides so schlecht nicht gefallen - inklusive der Russelschen Argumentation. Was natürlich nicht angeht, ist, die Beweisführung plötzlich mit dem Hinweis auf "schwierig zu definieren" abzubrechen bzw. die "Widerlegung" (die er uns vorenthält)auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Das suggeriert eine Pseudoweltweisheit, an der der gemeine Bürger nicht teilzuhaben in der Lage ist (was ja auch durchaus sein kann: Nur ohne den Versuch diese darzustellen den Gedankengang abzubrechen ist unredlich).

Ich vermute, dass dich, Sandhofer, Russels distanzierte Haltung gegenüber der Sprachphilosophie verstört hat ;). Ich selbst bin da weitaus toleranter, halte ich doch viele sprachphilosophische Probleme für Scheinprobleme, die an der grundsätzlichen Schwierigkeit einer mangelnden genauen Übereinstimmung zwischen Bezeichner und Bezeichnetem kranken. In der Logik habe ich klare Begrifflichkeiten, Operanden, Operatoren etc., unsere Alltagssprache ist nun alles andere als ein genaues Werkzeug zur Untersuchung verschiedenster Sachverhalte (und - das ist ganz gut so, besteht doch unser Interagieren, Sprechen, Schreiben, die gesamte Literatur nicht bloß aus dem Referieren eindeutiger Begriffe nebst ihrer logischen Verknüpfung). Somit sind gewollte/ungewollte Irrtümer und Paradoxien vorprogrammiert, und Versuche einer Systematisierung sind - um einen Zornschen Begriff zu übernehmen - schwierig. Nicht dass ich solche Bemühungen nicht schätzte, aber sie nehmen doch oft abenteuerlichen Charakter an.

Sprachphilosophisch gesehen spricht Russel hier von Intension, dem Sinn, der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken (z. B. George Washington). Ein solcher sprachlicher Term hat ein Referenzobjekt, das durch diese Bedeutung vermittelt wird, dieses Wissen um das Objekt aber wandelt sich im Laufe der Zeit bzw. unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. Schon aus diesem Grund scheint es unmöglich, einen eindeutigen, gar unveränderlichen Bezugsrahmen zu definieren.

Und nun wieder Katzenpapa ...

lg

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #27 on: 28. Februar 2011, 11.25 Uhr »
Quote from: orzuifar
Man muss (und soll) das (philosophische) Rad nicht ständig neu erfinden. Nicht, dass man diesem Studenten einen Maulkorb verpassen sollte, aber man sollte sich in seinen Ausführungen dessen bewusst sein, dass es schon viele, recht intelligente Menschen gegeben hat, die sich über derlei Probleme den Kopf zerbrochen haben (und häufig zu widerstreitenden Ergebnissen gekommen sind).

Vielleicht meinst du ja mich damit. ;D  Ich bin natürlich noch nicht mal ein Student in Philosophie, und habe mich nur darauf bezogen, wie Russel Pythagoras dargestellt hat, mir noch nicht schlüssig ist, wie man das Vollkommene in der Mathematik sehen kann. Diese Diskussion wir auch erstmal ruhen lassen können, zumal Russel später noch auf pythagoreisches Denken zurückkommen wird. Ich sehe da einiges anders, aber es ist natürlich so, die sog. Wirklichkeit erlebe und erfahre ich nur so, wie sie von meinem Gehirn gespiegelt wird. Hochinteressant, und das unterschreibe ich mit ganzem Herzen, erzählt Russel über Parmenides:

Quote from: Parmenides
Er hielt die Sinne für trügerisch und die vielen sinnlich wahrnehmbaren Dinge für bloße Täuschung.
und ich erlaube mir zu ergänzen, mit unserem Denken werden wir auch niemals die ganze Wirklichkeit erkennen können.

Das Problem bei Parmenides und Heraklit, wie Russel uns die Philosophen vorstellt, ist, wir bekommen keinen Gesamteindruck von ihrer Philosophie und ein wenig wundere ich mich, dass Russel  bei Parmenides fast nur auf die Sprachphilosophie eingeht, was für mich nur ein trockenes Gebiet ist.  Heraklit ist natürlich nur in diesen spärlichen Fragmenten überliefert, er ist wenig greifbar, trotzdem ich den Eindruck habe, Walter Kranz hatte über die Vorsokratiker noch mehr zu sagen als Russel (betrifft jedenfalls die Kapitel "Heraklit" und "Parmenides").

Bei Heraklit ist mir nur sein "Pantha rei" hängen geblieben und was sehr Interesssant ist, seine Lehre von der Nicht-Dualität, gemeint ist, wenn sich Gegensätze vereinen, entsteht Harmonie.

Nichtdualität und alles sei eine Täuschung finden wir auch in östlichen Philosophien Indiens. Es bleibt wohl ein Schatten der Geschichte, inwieweit Vorsokratiker östliche Philosophien angezapft haben. Parmenides' Vorstellung, es verändere sich nichts, wiederspricht dem eigentlich.

Liebe Grüße
mombour
« Last Edit: 28. Februar 2011, 11.30 Uhr by mombour »
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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #28 on: 28. Februar 2011, 14.12 Uhr »
Hallo!

und habe mich nur darauf bezogen, wie Russel Pythagoras dargestellt hat, mir noch nicht schlüssig ist, wie man das Vollkommene in der Mathematik sehen kann.

Ich kann dies absolut nachvollziehen; das Staunen darüber, dass man mit Papier und Bleistift selbstevidente Wahrheiten über geometrische Figuren herausfinden kann, die sich dann in der Realität bestätigen. Denn a priori weist nichts darauf hin, dass dem auch so sein sollte; dies ist vergleichbar mit dem Ausspruch des Galileo Galilei, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Denn es gibt nicht den geringsten Grund, dass dem so sein sollte, warum die Natur im Großen und Kleinen dem gehorcht, was wir in der Sprache der Mathematik aufschreiben. Und es ist auch nicht so, dass da immer zuerst die Naturbeobachtung ist - und im Anschluss daran diese Beobachtung auf mathematische Weise beschrieben wird, sondern auch umgekehrt: Ein mathematisches Verfahren, für das es bislang keine Anwendungsmöglichkeit gegeben hat, findet Verwendung in der Beschreibung neuer physikalischer Phänomene.

Wenn man also durch bloßes Nachdenken über Proportionen, Zahlen, Figuren zu Erkenntnissen gelangt, die jeder Kritik standhalten, so muss dies auf die Entdecker dieser Erkenntnisse einen tiefen Eindruck hinterlassen (da solches eben nicht im mindesten zu vermuten war) - und der Schluss, dass, wenn einmal in der Mathematik solche Wahrheiten entdeckt werden können, dies auch in anderen Bereichen möglich sein sollte, liegt nahe. Wenn die Mathematik, die Zahlen derart perfekt funktionieren könnte man extrapolieren, dass alles diesen perfekten, theoretischen und rationalen Einheiten der Zahlen gehorchen könnte.

Ich sehe da einiges anders, aber es ist natürlich so, die sog. Wirklichkeit erlebe und erfahre ich nur so, wie sie von meinem Gehirn gespiegelt wird. Hochinteressant, und das unterschreibe ich mit ganzem Herzen, erzählt Russel über Parmenides:

Quote from: Parmenides
Er hielt die Sinne für trügerisch und die vielen sinnlich wahrnehmbaren Dinge für bloße Täuschung.
und ich erlaube mir zu ergänzen, mit unserem Denken werden wir auch niemals die ganze Wirklichkeit erkennen können.

Das behauptet auch niemand, gehört in den Bereich der Erkenntnistheorie. Und genau das hat im übrigen Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" (den ich nun schon öfter als mir lieb als Gewährsmann anführe) darzulegen versucht. Die Vernunft ist ein großartiges Instrument, hat aber ihre (menschlichen) Grenzen, über die hinauszugehen zu bloßen Spekulationen führt.

Das Problem bei Parmenides und Heraklit, wie Russel uns die Philosophen vorstellt, ist, wir bekommen keinen Gesamteindruck von ihrer Philosophie und ein wenig wundere ich mich, dass Russel  bei Parmenides fast nur auf die Sprachphilosophie eingeht, was für mich nur ein trockenes Gebiet ist.  Heraklit ist natürlich nur in diesen spärlichen Fragmenten überliefert, er ist wenig greifbar, trotzdem ich den Eindruck habe, Walter Kranz hatte über die Vorsokratiker noch mehr zu sagen als Russel (betrifft jedenfalls die Kapitel "Heraklit" und "Parmenides").

Des Parmenides Erkenntnis, dass sich nichts wandle (nicht wandeln könne), hat ebenfalls mit Mathematik zu tun, mit der Unkenntnis von Grenzwertberechnungen, der nichtvorhandenen Null - und es war mit Sicherheit kein Zufall, dass Zenon als Schüler des Parmenides das Beispiel von Achill und der Schildkröte in die Literatur eingebracht hat.

Nichtdualität und alles sei eine Täuschung finden wir auch in östlichen Philosophien Indiens. Es bleibt wohl ein Schatten der Geschichte, inwieweit Vorsokratiker östliche Philosophien angezapft haben.

Gab hier mal an der Alten Geschichte ein Seminar über dieses Problem. Ausgang: Unentschieden, wobei man eher dazu neigte, einigen Einfluss der indischen Philosophie auf die Lehren der Orphiker und Pythagoreer zu konstatieren.

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Re:Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes
« Reply #29 on: 02. März 2011, 11.56 Uhr »
Hallo!

Ich vermute, dass dich, Sandhofer, Russels distanzierte Haltung gegenüber der Sprachphilosophie verstört hat ;).

Was mich ärgert, ist die Attitüde der Logiker, einen Satz der Umgangssprache - und die Vorsokratiker benutzten letztendlich Umgangssprache -, der ihnen nicht passt, so lange umzuformen, bis er ihnen passt - nämlich passt, um widerlegt werden zu können. Und selbstverständlich ist ihre Umformung dann die "korrekte" Form der Aussage. Eine Rechtfertigung, warum ihr Satz der korrekte ist, erfolgt selbstverständlich nicht. Die ist auch gar nicht möglich, weil man dazu auf einer Metaebene mit einer andern Logik operieren müsste.

Und genau das hat im übrigen Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" (den ich nun schon öfter als mir lieb als Gewährsmann anführe) darzulegen versucht.

Och ... von mir aus darfst Du ihn ruhig mehr anführen. Je älter ich werde, umso stärker wird mein Verdacht, dass die Philosophie nicht wirklich über ihn hinausgekommen ist.

Grüsse

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