Hallo!
und habe mich nur darauf bezogen, wie Russel Pythagoras dargestellt hat, mir noch nicht schlüssig ist, wie man das Vollkommene in der Mathematik sehen kann.
Ich kann dies absolut nachvollziehen; das Staunen darüber, dass man mit Papier und Bleistift selbstevidente Wahrheiten über geometrische Figuren herausfinden kann, die sich dann in der Realität bestätigen. Denn a priori weist nichts darauf hin, dass dem auch so sein sollte; dies ist vergleichbar mit dem Ausspruch des Galileo Galilei, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Denn es gibt nicht den geringsten Grund, dass dem so sein sollte, warum die Natur im Großen und Kleinen dem gehorcht, was wir in der Sprache der Mathematik aufschreiben. Und es ist auch nicht so, dass da immer zuerst die Naturbeobachtung ist - und im Anschluss daran diese Beobachtung auf mathematische Weise beschrieben wird, sondern auch umgekehrt: Ein mathematisches Verfahren, für das es bislang keine Anwendungsmöglichkeit gegeben hat, findet Verwendung in der Beschreibung neuer physikalischer Phänomene.
Wenn man also durch bloßes Nachdenken über Proportionen, Zahlen, Figuren zu Erkenntnissen gelangt, die jeder Kritik standhalten, so muss dies auf die Entdecker dieser Erkenntnisse einen tiefen Eindruck hinterlassen (da solches eben nicht im mindesten zu vermuten war) - und der Schluss, dass, wenn einmal in der Mathematik solche Wahrheiten entdeckt werden können, dies auch in anderen Bereichen möglich sein sollte, liegt nahe. Wenn die Mathematik, die Zahlen derart perfekt funktionieren könnte man extrapolieren, dass alles diesen perfekten, theoretischen und rationalen Einheiten der Zahlen gehorchen könnte.
Ich sehe da einiges anders, aber es ist natürlich so, die sog. Wirklichkeit erlebe und erfahre ich nur so, wie sie von meinem Gehirn gespiegelt wird. Hochinteressant, und das unterschreibe ich mit ganzem Herzen, erzählt Russel über Parmenides:
Er hielt die Sinne für trügerisch und die vielen sinnlich wahrnehmbaren Dinge für bloße Täuschung.
und ich erlaube mir zu ergänzen, mit unserem Denken werden wir auch niemals die ganze Wirklichkeit erkennen können.
Das behauptet auch niemand, gehört in den Bereich der Erkenntnistheorie. Und genau das hat im übrigen Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" (den ich nun schon öfter als mir lieb als Gewährsmann anführe) darzulegen versucht. Die Vernunft ist ein großartiges Instrument, hat aber ihre (menschlichen) Grenzen, über die hinauszugehen zu bloßen Spekulationen führt.
Das Problem bei Parmenides und Heraklit, wie Russel uns die Philosophen vorstellt, ist, wir bekommen keinen Gesamteindruck von ihrer Philosophie und ein wenig wundere ich mich, dass Russel bei Parmenides fast nur auf die Sprachphilosophie eingeht, was für mich nur ein trockenes Gebiet ist. Heraklit ist natürlich nur in diesen spärlichen Fragmenten überliefert, er ist wenig greifbar, trotzdem ich den Eindruck habe, Walter Kranz hatte über die Vorsokratiker noch mehr zu sagen als Russel (betrifft jedenfalls die Kapitel "Heraklit" und "Parmenides").
Des Parmenides Erkenntnis, dass sich nichts wandle (nicht wandeln könne), hat ebenfalls mit Mathematik zu tun, mit der Unkenntnis von Grenzwertberechnungen, der nichtvorhandenen Null - und es war mit Sicherheit kein Zufall, dass Zenon als Schüler des Parmenides das Beispiel von Achill und der Schildkröte in die Literatur eingebracht hat.
Nichtdualität und alles sei eine Täuschung finden wir auch in östlichen Philosophien Indiens. Es bleibt wohl ein Schatten der Geschichte, inwieweit Vorsokratiker östliche Philosophien angezapft haben.
Gab hier mal an der Alten Geschichte ein Seminar über dieses Problem. Ausgang: Unentschieden, wobei man eher dazu neigte, einigen Einfluss der indischen Philosophie auf die Lehren der Orphiker und Pythagoreer zu konstatieren.
lg
orzifar