Author Topic: Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution  (Read 20991 times)

Offline Anita

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Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« on: 20. Juni 2010, 18.05 Uhr »
Hallo mombour

Ich habe gestern Abend das neue und alte Vorwort gelesen und ein wenig von der Einführung und nun die Einführung komplett.

Seite 14
Wilber gibt die Vorlage, dass alles egal ob Religion oder Wissenschaft nach Vollkommenheit strebt. Tut es das wirklich in der Evolution? Dawkins schrieb es mehr dem Zufall zu. Ich bin bisher auch davon ausgegangen, dass alles zur „Harmonie“ strebt. Obwohl dies im Grunde entgegengesetzt der östlichen Traditionen wäre, denke an Yin und Yang, das eine kann nicht ohne das andere. Aber vielleicht hat sich Wilber s. u. mit schlecht und gut/Sünde und Heil nur  blöd ausgedrückt, und er meint gar nicht, dass „Ausrotten vom Schlechten“, sondern nur eine Art von Fortschritt. Weißt du woran ich mich momentan reibe?

Wilber schreibt: „vom Niederen zum Höheren, vom Schlechten zum Besseren. Von der Sünde zum Heil.“

Whitehead Zitat: „daß wissenschaftliche Gesetze eine unbewußte Ableitung aus mittelalterlicher Theologie sind“

„Welchen Sinn hat diese Zielrichtung/Geschichte/Evolution?“ --> sehr gute Frage!

Einstein hat gesagt: „wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, der ist bereits tot.“ (schöner Ausspruch, gleicht dem Chaos von Nietzsche)

Ewige Philosophie oder Philosophia perennis ist auch mein Gottesbegriff (Seite 17 unten beschreibt Wilber das). Oder die Natur aller Naturen. Das Absolute!

Wilber schreibt (Seite 19 unten): „Wer glaubt, das Absolute sei eine Art Großer Vater, der über alle seine Nachfahren wacht wie ein Schäfer über seine Herde, der praktiziert Religion wie ein Bittsteller. Ziel dieser Religion ist einfach, den Schutz und Segen jenes Gottes zu erhalten und ihn als Gegenleistung zu verehren und ihm zu danken. … Diese Art von Religion verfolgt nur das Ziel, erlöst zu werden … „

Außer ein paar kleinen Reibepunkten ist Wilber für mich derjenige, der das ausspricht was ich bisher so gedacht und mir vorgestellt habe. Ich denke, auch wenn es diesmal um einiges schwieriger wird, ich muss ständig Fachbegriffe nachschlagen, wird es ein Lesegenuss werden.

LG
Anita
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Offline sandhofer

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #1 on: 20. Juni 2010, 19.42 Uhr »
Ich kenne von den Integralen nur Jean Gebser - ein wenig. Ich gestehe, dass diese Theorien eine gewissen Faszination ausüben - ähnlich wie die universalhistorischen eines Toynbee oder Spengler. Leider zerbricht so was immer, wenn man genauer hinschaut...
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

Offline Anita

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #2 on: 20. Juni 2010, 20.16 Uhr »
Leider zerbricht so was immer, wenn man genauer hinschaut...

Schaun wir mal  ;) Aber wie gesagt, einen Kritischen bei dieser Leserunde hätte ich gerne an Bord, du bist also gerne eingeladen  ;D
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Offline sandhofer

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #3 on: 20. Juni 2010, 20.20 Uhr »
Danke für die Einladung. Über Jean Gebser hätte ich mit mir reden lassen; und sei es nur, um meine Eindrücke von vor 5 oder 6 Jahren zu überprüfen. Aber seit meiner Darwin-Lektüre liegt die Evolution aktuell nicht auf meinen Lesewegen.  :)
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Offline mombour

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #4 on: 21. Juni 2010, 16.31 Uhr »
Aber vielleicht hat sich Wilber s. u. mit schlecht und gut/Sünde und Heil nur  blöd ausgedrückt, und er meint gar nicht, dass „Ausrotten vom Schlechten“, sondern nur eine Art von Fortschritt. Weißt du woran ich mich momentan reibe?

Wilber schreibt: „vom Niederen zum Höheren, vom Schlechten zum Besseren. Von der Sünde zum Heil.“

Natürlich, er meint den Fortschritt in der Evolution. Der Untertitel des Buches heißt:

"Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewußtsein"


Auf dem ersten Blick sage ich natürlich auch, es wird nichts besser. Jede Generation hat seine Krisen, oder jedes Jahrhundert, und früher war es nicht besser als heute. Es ist also falsch, wenn wir sagen, es wird alles immer besser, dabei wir aber bedenken müssen, dass die Evolution so ein langer Prozess ist, den wir nicht überlicken können. Das Vorwort wird mit eiinem Zitat Plotins eingeleitet, Wilbers Lieblingsphilosophen:

"Die Menschheit befindet sich auf halbem Wege zwischen den Göttern und den Tieren"

Der Mensch ist aus dem Tier entstanden (Affen) und wird sich nach Wilber zu einem Wesen mit einem kosmischen Bewusstsein entwickeln. Sri Aurobindo und Teilhard de Chardin haben ja auch davon gesprochen, so Wilber, die Zukunft der Menschheit heiße kosmisches Bewusstsein. (bei Aurobindo gibt es auch das "supramentale Bewusstsein", bei Chardin, der u.a. auch Theologe war, muss das dann natürlich "Christusbewusstsein" heißen.

Wenn man es denn so sehen will, der Mensch gehe auf lange Sicht auf ein kosmisches Bewusstsein zu, dann muss man dieses selbstverständlich als positiv betrachten, weitaus mehr als das Bewusstsein eines Tieres. Darum sagt er "vom Niederen zum Höheren."

ABER, stimmt das denn?

Leider zerbricht so was immer, wenn man genauer hinschaut...

Zwei Gründe warum Wilbers Theorie (die wir noch gar nicht richtig erörtert haben), wanken könnte (ich muss mich natürlich vorsichtig im Konjunktiv ausdrücken ;D )

1) Darwinismus/Neodarwinismus

Der Zufall spielt eine Rolle (Mutationen), warum  ist sich Wilber dann so unbedingt sicher, wie sich unter Geist entwickelt. Wilber ist sicher nicht konform mit Neurobiologen, die sagen, der Geist (Bewusstsein) entstzehe aus Materie. Es ist in erster Linie Materie, die sich evolutioniert, dass sich daraus ein menschliches Bewusstsein entwickelt hat, ist warscheinlich purer Zufall oder was weiß ich...ein glücklicher Zufall... Niemand kann doch wissen, wie sich der menschliche Körper weiterentwickeln wird. Es könnte vielleicht sein, dass er noch ein paar Millionen Neuronen mehr erhält, noch mehr synaptische Verbindungen, wie sich dann unser Bewusstsein verändern würde, muss jetzt wohl offen bleiben.

2) Philosophia perennnis

eine schöne Philosophie, durchaus sympathisch - letzten Endes muss man aber daran glauben oder auch nicht, ob es das Absolute gibt. Wilbers Theorie steht oder fällt mit dem Glauben, bzw. mit dem NIchtglauben daran. Das Absolute nennt Wilber in "Eros, Kosmos, Logos" dann einfach nur GEIST, der Dalai Lama in seinen Harvard Vorlesungen spricht von "Geistkontinuum".

Unabhängig von meinen kritischen Gedanken ist Wilbers Theorie natürlich sehr interessant, die er aber erst viel später in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts erweitert und spezifiziert, bzw. vollendet hat,  in dem er den Begriff "Holon" in seine Philosophie aufnahm (der Begriff stammt von Arthur Koestler) und die sog. "Quadranten-Theorie" entwickelt hat. So kann zwar in der Einführung unseres Buches schon von der Großen Kette des Seins lesen, viel schöner und ausgereifter aber in seinem viel späteren Buch "Naturwissenschaft und Religion".

Trotzdem, ich bin sehr gepannt auf diese Evolution, wie sie uns in diesem Buch dargelegt wird. Eine Tour über unseren Horizont. Ein wenig befremdet hat mich ja doch, weil Wilber oft die Vokabel Gott in den Mund nimmt. Das Buch entstand 1981. Damals war er wohl noch kein Buddhist.  ;D

Es ist ein Buch des jungen Ken Wilber, daran sollte man denken. Ich lese nun die Einleitung zu Ende.

Liebe Grüße
mombour
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #5 on: 21. Juni 2010, 17.26 Uhr »
Hallo mombour.

Gut, dass ich unterdessen schon viel über Wilber im Netz gelesen habe und mir die Begriffe "Holon" und diese Kette bekannt sind  ;)

Zwei Punkte zu Evolution:
Ich bin immer noch für den Begriff der spontanen Mutationen, denn sie sind nicht zufällig. Überhaupt bezweifle ich, dass es den Zufall überhaupt gibt  :D
Selbst wenn etwas dann sehr spontan entsteht, die Evolution verbirgt sich dafür, dass wenn es nicht lebensfähig ist eben unter geht. "Survival of the Fittest"

Geistig, da gebe ich dir recht mombour, da sehe ich auch nicht diese Entwicklung zum Höheren, dass der menschliche Geist sich stark vom Tier anhebt. Ich habe gar die Befürchtung, der Geist entwickelt sich zurück, nur noch das Dollar-Zeichen ist in den Köpfen der Menschen zu finden. Und der Über-Mensch will noch geboren werden ;D

Du kannst in Ruhe die Einleitung lesen, ich habe heute wegen der Stiege eine kleine Pause eingelegt  :) (Vielleicht auch morgen)

LG
Anita
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Offline mombour

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #6 on: 22. Juni 2010, 06.00 Uhr »

Geistig, da gebe ich dir recht mombour, da sehe ich auch nicht diese Entwicklung zum Höheren, dass der menschliche Geist sich stark vom Tier anhebt. Ich habe gar die Befürchtung, der Geist entwickelt sich zurück, nur noch das Dollar-Zeichen ist in den Köpfen der Menschen zu finden. Und der Über-Mensch will noch geboren werden ;D

Der Weg des Menschen zum Kosmischen Bewusstsein, da wirft Wilber eine Zahl in den Raum: etwa 2000 000 Jahre ;D
Diese Evolutionszeiträume können wir mit unserem jetzigen Hirn nicht wirklich überblicken. Wir überblicken nur verhältnismäßig kleine Zeiträume so etwa von der altägyptischen Kultur bis heute. Das ist noch vorstellbar.

Nun denn, also....Das Bewusstsein eines Tieres ist schon anders als das eines Menschen, weil der Mensch sich bewusst ist, dass er mal sterben wird, das Tier weiß es aber nicht.  Das Grundproblem des heutigen Menschen, so Ken Wilber in der Einleitung, ist die Nichtakzeptanz des Todes, der Mensch deswegen sein wahres Selbst – Atman-Bewusstsein im Hinduismus, Buddha-Wesen im Buddhismus – bzw. seine letzte Ganzheit nicht finden kann. Der Kampf zwischen Leben und Tod schafft Ängste. Das kann nur „durch Transzendenz in die Ganzheit beseitigt“ werden. Die Ganzheit ist eben der GEIST, der den Kosmos durchwebt, nach Wilber wird er irgendwann bewusst erfassbar sein, d.h. Unser kleines Ich, an was wir uns klammern, löst sich dann auf. Die Angst vor der Ichauflösung gibt es dann natürlich nicht mehr. Dieser Evolutionsschritt bis dahin dauert sehr lange, vielleicht 2000 000  Jahre. Diese Theorie der Evolution des Bewusstseins wird Wilber in den folgenden Kapiteln noch  durch Argumente festigen müssen, wenn wir ihm folgen wollen. Im ersten Kapitel wird sich dann zeigen, dass wir es nicht so sehr mit Darwin zu tun haben, sondern es geht u.a. auch um Jean Gebsers Werk „Ursprung und Gegenwart“.

Liebe Grüße
mombour
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #7 on: 23. Juni 2010, 12.21 Uhr »
Erster Teil – Garten Eden und die geheimnisvolle Schlange

Ich schreibe mal ganz lapidar das auf was ich persönlich davon halte.

Bei der körperlichen Entwicklung, also der Ontogenese, vollzieht sich sozusagen die ganze Phylogenese, so ist mir das noch bekannt (biogenetische Grundregel). In der Embryonalphase besitzen wir irgendwann mal Kiemen, wir besitzen Mitochondrien, die eigentlich nur die Pflanze benötigt, wir haben noch Rudimentäre-Organe, alles so Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten. So, das ist Fakt, weil sich das materiell, wissenschaftlich belegen lässt. Als ich nun dieses Kapitel las, dachte ich mir wieder, warum die Menschheit so einen Aufwand betreibt (weil man es materiell eben nicht belegen kann), dass die gleiche Entwicklung wohl auch unser Bewusstsein  vollzogen hat. Warum wird das nun nicht genauso akzeptiert wie die körperliche Entwicklung?

Also zu Zeiten des Garten-Edens hatte der Mensch ein ganz primitives Bewusstsein, und dies kann mit dem kindlichen Bewusstsein verglichen werden, das noch kein Subjekt/Objekt-Empfinden besitzt. Punkt!

Jetzt gibt es sehr viele Ansätze in diesem Kapitel, die alle das Gleiche aussagen, aber es anders beschreiben und betiteln: Atman hatten wir ja schon, Pleroma-Uroboros, archaisch-uroborisch, Urstadium, Vedanta-Psychologie, und die ganzen großen Namen wie Gebler , Neumann, Berdjajew, Sagan.

Also für mich ist das logisch, ich brauche diese Beweisführung nie, wenn es total selbstverständlich klingt. Ich frage mich dann immer, wen will er es beweisen, was nicht zu beweisen ist da inmateriell? Neugierig wäre ich auf Gegenargumente, die werden allerdings nicht aufgeführt, schade!

LG
Anita
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Offline mombour

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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #8 on: 23. Juni 2010, 14.18 Uhr »
.
Also für mich ist das logisch, ich brauche diese Beweisführung nie, wenn es total selbstverständlich klingt. Ich frage mich dann immer, wen will er es beweisen, was nicht zu beweisen ist da inmateriell? Neugierig wäre ich auf Gegenargumente, die werden allerdings nicht aufgeführt, schade!

Das sich das Bewusstsein auch entwickelt hat, ist für mich an sich selbstverständlich. Ich glaube, es war Jean Gebser der darauf hingewiesen hat, die Alten Ägypter haben nur zweidimensional gemalt. Das Räumliche in der Malerei kommt erst sehr viel später. Das es so ist, dem liegt auch eine Bewusstseinsentwicklung zugrunde. Der Materialist Francis Crick hätte sicher gar nichts dagegen einzuwenden, wenn unser Bewusstsein aus einem Neuronensalat entsteht. Dagegen, wo sich materialistische Wissenschaftler sträuben, ist, dass auch Geist außerhalb  vom Körper existiert, wie Wilber in "Naturwissenschaft und Religion" behauptet - ich glaube, dass ist der wirkliche Streitpunkt.

Ich fand es auch sehr schön, dass Wilber Jean Piaget zitiert (was hat dieser Mann nicht alles gelesen  ;D ).

Quote from: Piaget
Während der frühen Stadien sind die Welt und das Selbst eins; sie sind durch nichts voneinander geschieden...und das Selbst ist gewissermaßen materiell

d.h. pleromatisch-uroborisch, gleichbedeutend mit Gebsers "archaischer Struktur" (Ebene 1)

Wilbers Skizze über "Die Große Kette des Seins" entspricht den Vorstellungen Jean Gebsers. Die Ebene 2  ist nach Gebser die magische, bei Wilber  die typhonische. Ich gehe nun zum zweiten Teil.

Liebe Grüße
mombour
« Last Edit: 23. Juni 2010, 16.53 Uhr by mombour »
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #9 on: 23. Juni 2010, 17.50 Uhr »
Zweiter Teil, Das Zeitalter des Typhon

2. Die alten Magier

Als ältestes Zeugnis bildhafter Darstellung typhonischer Merkmale gilt "Der Zauberer von Trois frères", aus einer Höhle in Südfrankreich. Es handelt sich um ein sog. "Mischwesen" aus Tier und Mensch. Der berühmte Mythenforscher Joseph Campbell sagt, "Die ganze Höhle war ein bedeutendes Zentrum der Jagdmagie".

Die Darstellung: Ohren eines Hirsches, Augen wie die einer Eule, langer Bart eines Mannes, tanzende Beine eines Mannes, Schwanz eines Wolfes oder Wildpferdes, das Sexualorgan gleicht dem einer großen Wildkatze, Bärenklauen. Es handelt sich um ein Wesen aus Mensch und aus verschiedenen Teilen unterschiedlicher Tierarten. Damit entspricht es dem Bewusstsein eines Wesens aus dem typhonischen Zeitalter der Jäger und Sammler, der Zeit des Cro Magnon-Menschen, in der das Ich (Das Körper-Ich, nicht mental) magisch ist und sich mit der Umwelt verbunden fühlt. Also nicht mehr mit der Umwelt verschmolzen wie bei Ebene 1, sondern der Hominid fühlte sich mit der Umwelt magisch verbunden. Dieses körperhafte Ich in der magischen (typhonischen) Zeit deutet nach Gebser die erste Zentrierung des Menschen an, die dann später zu seinem Ich, Indiviuum, führen wird.

Nun, für mich selbst ist Magie eine ziemlich prekäre Angelegenheit,  der ich äüßerst skeptisch gegenüberstehe. Bekanntes Beispiel aus dem Vodoo-Kult: Man wirkt auf eine Puppe ein, und erzielt damit eine Wirkung auf eine bestimmte menschliche Person. Magisches Wissen heißt, es entsteht eine magische Beziehung zwischen dem Objekt und seinem Symbol. James Frazer unterscheidet zwischen dem Gesetz der Ähnlichkeit und dem Gesetz der Ansteckung. Kurz und gut. All diese Magie kann nur so zustande kommen, weil die Menschen dieser Zeit noch nicht ausgeprägt individuell sind, wie wir es heute sind, sondern eben weil sie ein typhonisches Bewusstsein haben.

Die Gemütslage eines typhonischen Ichs fasst Wilber wunderbar zusammen:

Quote from: Wilber
Wird nicht zwischen Subjekt und Objekt differenziert, dann werden Abbild und Gegenstand verwechselt, Symbol und Objekt in einen Topf geworfen, weshalb dann Subjekt und Prädikat, Ganzes und seine Teile, die Gruppe und ihre MItglieder >>magisch eins sind<<.

Allgemein schlussfolgert er (hier nur das Wesentliche):

Quote
Magie ist nämlich nicht eine halluzinatorische oder primitive falsche Wahrnehmung einer sonst klaren und gut unterscheidbaren Wirklichkeit, sondern mehr ider weniger die korrekte Wahrnehmung einer primitiven und niederen Ebene der Wirklichkeit.

Ja, das verstehe ich schon, kann es für mich natürlich niemals umsetzen, weil ich nicht ein magisch-typhonisches Bewusstsein habe.

 :D mombour
« Last Edit: 23. Juni 2010, 18.12 Uhr by mombour »
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #10 on: 24. Juni 2010, 12.55 Uhr »
Nun, für mich selbst ist Magie eine ziemlich prekäre Angelegenheit,  der ich äüßerst skeptisch gegenüberstehe. Bekanntes Beispiel aus dem Vodoo-Kult: Man wirkt auf eine Puppe ein, und erzielt damit eine Wirkung auf eine bestimmte menschliche Person. Magisches Wissen heißt, es entsteht eine magische Beziehung zwischen dem Objekt und seinem Symbol. James Frazer unterscheidet zwischen dem Gesetz der Ähnlichkeit und dem Gesetz der Ansteckung. Kurz und gut. All diese Magie kann nur so zustande kommen, weil die Menschen dieser Zeit noch nicht ausgeprägt individuell sind, wie wir es heute sind, sondern eben weil sie ein typhonisches Bewusstsein haben.

Die Gemütslage eines typhonischen Ichs fasst Wilber wunderbar zusammen:

Quote from: Wilber
Wird nicht zwischen Subjekt und Objekt differenziert, dann werden Abbild und Gegenstand verwechselt, Symbol und Objekt in einen Topf geworfen, weshalb dann Subjekt und Prädikat, Ganzes und seine Teile, die Gruppe und ihre MItglieder >>magisch eins sind<<.

Allgemein schlussfolgert er (hier nur das Wesentliche):

Quote
Magie ist nämlich nicht eine halluzinatorische oder primitive falsche Wahrnehmung einer sonst klaren und gut unterscheidbaren Wirklichkeit, sondern mehr ider weniger die korrekte Wahrnehmung einer primitiven und niederen Ebene der Wirklichkeit.

Ja, das verstehe ich schon, kann es für mich natürlich niemals umsetzen, weil ich nicht ein magisch-typhonisches Bewusstsein habe.

Hallo mombour.

Doch ich denke schon, dass du diese magische Seite innehälst  ;)

Ich sagte doch schon ein paar Mal, dass ich diese Theorien von Wilber schon irgendwie verinnerlicht hätte, ohne Wilber oder Gebser je gelesen zu haben.
Diese magier Stufe würde ich mit eigenen Worten ganz anders erklären, diese 2 Ebene als höchste körperliche Lebensform, bevor also der Geist/Verstand ins Spiel kommt und alles umkrempelt, weil er den Dualismus ins Spiel bringt ... Beispiele wären meiner Meinung nach: "Der alte Mann und das Meer", auch der Fischer zum Schluss bei "Siddhartha", diese Gestalten sind so eins geworden mit der Natur, der alte Mann macht nicht diesen Unterschied (du Fisch ich Mensch  ;D ), sondern er setzt sich  gleich mit ihm, er ist Teil der Natur/Welt. Und ich denke, dass jeder solche Momente erlebt, als Kind sowieso, oder?

So wie ich diese Ebenen sehe, entstehen wir aus dem ALL, werden geboren als Körper 1. Ebene müssen diese vervollkommnen, es entwickelt sich der Geist/Verstand, zunächst nur rein rational, der dann wieder zum All tendiert. Eigentlich wirklich die ganz normale menschliche Bewusstseinsentwicklung, am Ende "sollen" wir "weise" wieder zum GEIST/ALL übertreten. Und es gibt in der Tat alte Menschen, die keine Angst vor dem Tod haben, sondern es wirklich gelassen betrachten. Für mich ist das NOCH unverständlich  ;D

Also auch bei der Bewusstseinsentwicklung gibt es diese Phylogene, die jeder in der Ontogenese durchlebt.

LG
Anita, die leider mit dem Lesen rationieren muss, da sie mittlerweile ein Hagelkorn am Auge mit Bindehautentzündung hat, das evtl. wegoperiert werden muss  :(
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #11 on: 24. Juni 2010, 14.07 Uhr »
Und ich denke, dass jeder solche Momente erlebt, als Kind sowieso, oder?

hmmm, ja ich erinnere mich. Ich ging durch eine Gasse in Regensburg, blickte kurz nach links in eine schmälere Gasse und konnte die Donau sehen, dabei ich für einen kurzen Moment das Gefühl hatte, die Donau sei ein Lebewesen. Das ist wirklich passiert und wahr wohl ein magischer Moment.

Gute Besserung wünsche ich dir.

Liebe Grüße
mombour
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #12 on: 25. Juni 2010, 11.35 Uhr »
Aufdämmern des Wissens um den Tod

Upanischaden: „Wo immer es ein Anderes gibt, da gibt es auch Angst.“

Médard Boss: „Die essentielle grundlegende Ur-Angst ist allen isolierten, individuellen Formen der menschlichen Existenz eingeboren.“

Aus diesem Dilemma kann man nur durch Leugnen und Verdrängen entkommen, oder aber zum All transzendieren.
Die Ersatzbefriedigung läuft darauf hinaus, dass man alles haben will, statt alles sein zu wollen (ALL). Verleugnung des Todes läuft in die richtige Bahn, wenn man sich aufgrund des ALLs bewusst wird, dass man unsterblich ist, anstatt den Tod einfach zu verdrängen.

Hegel: „Geschichte sei das, was der Mensch mit dem Tode anfange.“

"Zeit ist der Ersatz für die Ewigkeit."

Der Tod im Typhon war ein abruptes Geschehen, meist durch Gewalteinwirkung was einer Magie zugeschrieben wurde. „Magie wird angewendet um sich vor den Tod zu schützen und ihn anderen zuzufügen.“

Mit mehr Bewusstsein zur 3. Ebene entstand die Kultur = als Ablenkung der freien Zeit, um nicht an den Tod denken zu müssen.

Ich liebe ja Kultur  :angel: ;D

LG
Anita
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #13 on: 25. Juni 2010, 15.34 Uhr »
Hallo,

als ich die Gedanken zu Zeit und Tod gelesen habe, musste ich an Saramagos Roman "Eine Zeit ohne Tod" denken, ein Gedankenexperiment, was wäre, wenn es den Tod  gar nicht gäbe. So schön wäre das alles nicht, weil unser Leben, dass wir leben, darauf aufgebaut ist, dass es den Tod gibt. Wir schreiben unser Testament, überlegen, was wir für eine Rente bekommen. Wir sind unserem begrenzten Ich ausgeliefert. Alles haben zu wollen - heute ist es das Geld, obwohl jeder weiß, Geld macht nicht glücklich. Alle Bücher können wir nicht besitzen, lesen schon gar nicht (das ist, um ehrlich zu sein, auch nicht nicht unbedingt erstrebenswert). Unsterblichkeit kann nur über die Ebene des bewußtseins erreicht weden, nicht über den vergänglichen Körper.

Als der uroborische Zustand in den typhonischen überging und dadurch das Bewusstsein des Ichs begann, dammerte auch das Wissen um den Tod auf. Dann gibt es zwei Möglichkeiten:
Quote from: Wilber
"Der Mensch kann Tod und Thanatos leugnen und verdrängen oder beides ins unbewußte All tranzendieren."

Und folgendes muss nun hinterfragen: Wenn das All uns unbewusst ist, wie soll es dann möglich sein, den Tod zu transzendieren, wenn wir selber im seperaten Ich gefangen sind. Aufgrund unsere Erfahrung mit der Identifizierung des seperaten Ichs, haben wir schon die Richtung gelegt, Angst vor dem Tod zu haben, eben deshalb, weil uns die bewusste Erfahrung des zeitlosen Atman fehlt. Wir sind eben noch in der Höhle des Höhlengleichnisses. In der Bewusstseinserfahrung des zeitlosen Absoluten ist der Tod transzendiert, er wird bedeutungslos. Die Furcht vor dem Tod ist nur da, weil unser begrenztes Ich den Tod fürchtet. Der typhonische Mensch lebte nicht nur so in den Tag hinein und aß nur, sondern er ging auf die Jagd, um sein Leben zu erhalten. Hierin können wir den Wunsch des typhonischeMenschen sehen, sein Ich zu erhalten, sich vor dem Tod zu bewahren, in dem er sich mit Fleiß (Jagd) Nahrung beschafft. Der Hominid dsieser Zeit trieb noch keinen Ackerbau, weil er nicht weit in die Zukunft sah, er lebte mehr oder weniger von Gegenwart in die nächste Gegenwart.

Wir können nicht über unseren eigenen Schatten springen.
Quote from: Wilber
Das ursprüngliche Wesen des Menschen ist GEIST, das Höchste Ganze; bevor er jedoch doeses GANZE entdeckt, bleibt er ein entfremdetes FRagment, ein seperates Ich, das sich zwangsläufig mit dem Bewusstsein des Todes und mit Todesangst konfrontiert findet. Das ist keine von bestimmten Umständen abhängige Angst. Sie  ist existentiell mitgegeben, eingeboren.

Das ist sehr bodenständig gedacht. Realitisch auch, das Wilber nicht glaubt, dass in nächster Zeit dem Menschen das Atman-Bewußtsein gegeben wird ("jedenfalls nicht innerhalb der nächsten Jahrtausende."). Es hat jedoch immer Einzelne gegeben, die den Weg zum Atman gegangen sind.  In diesem Zusammenhang haben ich nicht verstanden, was mit "Synergie" (nach Ruth Benedict) gemeint ist.

Zur Kultur: Freud sagt ja, künstlerisches Schaffen sei Sublimierung des Geschlechtstriebes. Ich glaube, das ist umstritten. Aber mit der Kunst schafft sich der Mensch etwas Schönes. Nach Platons Iddeenlehre gibt es verschiedene Abstufungen. Die Malerei ist ein Mittel, etwas schönes festzuhalten, z.B. eine Landschaft. Das schönste ist aber der GEIST ;D.

Liebe Grüße
mombour
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Re:Wilber, Ken - Halbzeit der Evolution
« Reply #14 on: 25. Juni 2010, 16.06 Uhr »
Freud sagt ja, künstlerisches Schaffen sei Sublimierung des Geschlechtstriebes.

Ja der schon wieder und immer alles auf die Libido schieben. Um so richtig kreativ und künstlerisch sein zu können, muss man eine an der Klatsche haben  ;D Also so würde jetzt der Rheinländer oder der Kölner sagen  :angel:

Quote
"Synergie" (nach Ruth Benedict)

Ich auch nicht, aber das stört mich bei diesem Buch nicht, weil ich es bisher nicht berauschend finde.

LG
Anita
« Last Edit: 17. Juli 2010, 15.52 Uhr by Anita »
Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.  Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"