So. Fertig. Mein Fazit:
Eleagabal Kuperus gilt als einer der deutschsprachigen Klassiker der phantastischen Literatur. Er ist, von vielleicht zwei kurzen Stellen abgesehen, zum Glück von völkischem Gedankengut weitestgehend frei geblieben. Die zwei Stellen sind folgende: Einmal stellt der gute, weisse Magier Kuperus dem guten Hauptliebespaar in Aussicht, es könnte sich zu den Stammeltern einer neuen Rasse entwickeln, ohne die Imperfektionen der alten, gegenwärtigen. Dies wird allerdings nicht weiterverfolgt. Eine zweite, störendere Stelle ist die, wo Kuperus die im Buch stattfindenden allgemeinen Metzeleien als Gesundungsprozess eines Volkes gutheisst.
Das Buch hat eine grosse Schwäche: Es fängt an als phantastischer Roman, als Zweikampft zwischen den beiden Mächtigen - Eleagabal Kuperus, Weiser und weisser Magier, einerseits und Thomas Bezug, Kapitalist und Technokrat, andererseits. Nach rund 100 von rund 700 Seiten allerdings läuft die Geschichte in eine völlig andere Richtung, und der Zweikampf spielt kaum eine Rolle mehr.
Strobl liefert, angesiedelt in einer fiktiven, namenlosen Stadt (hinter der sich aber wohl Prag verbirgt) eine Analyse seiner Zeit. Natürlich sind es konservativ-bäuerliche Werte, die Strobl hochhält. Bezug will in einer einmaligen, bisher unterhörten Aktion alles Land auf diesem Globus aufkaufen, um die Produktion von Sauerstoff in den Pflanzen zu unterbinden, damit er selber den Sauerstoff monopolisieren kann. Die Bauern sollen dabei verelenden und in die Stadt getrieben werden.
Auf der "guten Seite" finden wir neben dem Magier Kuperus den Schriftsteller Adalbert Semilasso. In der Wildnis ist der aufgewachsen, nämlich in einer Höhle bei einem der menschlichen Gesellschaft entflohenen, halbwilden Vater. Ein stilisiertes Selbstbildnis? Jedenfalls: Erst als Erwachsener kommt Adalbert unter Menschen. So könnte man den Roman auch als Entwicklungsroman auffassen, denn die Entwicklung des jungen Semilasso nimmt einen zentralen Platz ein.
Doch es ist, hierin an die Venus im Pelz erinnernd, auch die Geschichte sexueller Hörigkeit, indem Bezugs Tochter sich als Vamp entpuppt, die alle Männer zu sich ins Bett zu löken weiss, auch wenn bzw. gerade weil dieses Bett ursprünglich Potiphars Sarg war. Die Männer, auch Semilasso, trotzdem er bereits seine ideale Geliebte gefunden und sich ihr erklärt hat, fallen ihr alle zum Opfer, selbst dann, wenn sie es gar nicht wollen und sich immer wieder dagegen wehren. (Während Thomas Bezug seine schier unbegrenzte Macht zwar auch an Geliebten austobt; er, der Mann, aber offenbar bei Widerstand auf brutale Vergewaltigung angewiesen ist.) So bricht denn das erste Buch (Die würgende Hand) mitten in diesem Handlungsstrang um die Tochter Bezug ab. (Warum überhaupt zwei Bücher? Ich vermute buchhändlerisch-verlegerische Gründe, denn Strobl gibt sich nicht mal die Mühe, das erste Buch mit einem Cliffhanger zu beenden. Es hört einfach auf, und das zweite nimmt den Handlungsstrang auf, wie wenn nichts gewesen wäre.)
Doch auch dieser Handlungsstrang wird nicht beibehalten. Das letzte Drittel des zweiten Buchs ist dann der Schilderung von etwas noch ganz anderm gewidmet: Ein Planet ist aus seiner Bahn geraten und rast auf die Erde zu. Die jetzt einsetzende Endzeitstimmung, die Schilderung der Reaktionen der Menschheit im Allgemeinen, der verschiedenen Protagonisten im Besonderen, machen den besten Teil des Werks aus. Das Chaos bricht aus, Heilslehren spriessen aus diesem Boden wie Pilze nach einem warmen Sommerregen. Und los geht's - Richtung Abgrund. Dieser Teil hat - für mich- das ganze Buch herausgerissen.
Nicht wirklich phantastische Literatur also. Ein bisschen Entwicklungsroman. Aber vor allem: Venus im Pelz meets Die Offenbarung des Johannes.