Author Topic: Juli Zeh: Unterleuten, Spieltrieb  (Read 1333 times)

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Juli Zeh: Unterleuten, Spieltrieb
« on: 20. Juni 2016, 23.25 Uhr »
Hallo!

Die beiden Bücher von Juli Zeh haben bei mir einen zweischneidigen Eindruck hinterlassen: Während ich "Unterleuten" über weite Strecken (eigentlich bis zum "Spielfilmende") sehr gern gelesen habe (die Figuren waren gut und treffend gezeichnet, durch den Perspektivenwechsel ist es der Autorin gelungen, wirklich differenzierte Charaktere zu schaffen - versehen mit viel Witz und zeugend von großer Beobachtungsgabe als auch Sprachtalent), wurde "Spieltrieb" für mich immer mehr zu einem eher abenteuerlichen Konstrukt, dessen Handlungsverlauf kaum plausibel schien (es ging um eine begabte Schülerin (ein ohnehin schon gefährliches Sujet, da diese Begabungen - wie im übrigen auch in diesem Buch - ihren Ansprüchen so gar nicht gerecht zu werden imstande sind), die auf einen Mitschüler trifft, der - fasziniert von der Spieletheorie (und der damit verbundenen - möglichen - Macht) - das Mädchen dazu benutzt, einen Lehrer zu verführen - was denn auch gelingt. Der Schüler macht Fotos von den Zusammenkünften und betreibt seine Machtspielchen, allerdings wirkt das alles sehr konstruiert und um eine spektakuläre Handlung bemüht).

Das Ärgerliche an diesen Büchern ist die Tatsache, dass eine talentierte Autorin da meint, sich geistreich erscheinende Themen suchen zu müssen und das alles noch mit möglichst viel Spannung, "Aktion" glaubt ausstatten zu müssen (mich erinnerte diese Schreibweise an Tellkamps "Eisvogel", der an ähnlichen Schwächen krankt). Anstatt einfach nur zu (be-)schreiben, auf Handlung oder Moral der Geschichte zu verzichten und ein Stück gute Literatur zu schaffen. Das - und das mag vielleicht einer der Gründe für diese Art des Schreibens sein - sich dann wohl weniger gut verkaufen ließe. Ich habe den Eindruck, dass hier Talent verschleudert wird, wobei: Es dürfte denn doch schwerer sein, einen guten Roman unter Verzicht spektakulärer Einsprengseln zu schreiben.

lg

orzifar
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