Author Topic: Klaus Mainzer: Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data  (Read 5545 times)

Offline orzifar

  • Administrator
  • *****
  • Posts: 2 942
Hallo!

Endlich mal wieder ein Buch abgebrochen: Und das sollte ich öfter machen. Mainzer aber hat es verstanden, meine Geduld endgültig zu erschöpfen - und das trotz eines Themas, an dem ich außerordentlich interessiert bin: Der Verknüpfung von Informatik, Mathematik und Philosophie.

Schon während der ersten Seiten (Einführung) war ich einigermaßen erstaunt: Das Programm, dass Mainzer für sein Buch vorlegt, war mehr als ambitioniert und unglaublich umfangreich. Andererseits hat sich mir der Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema des Buches, "Big Data", nicht immer erschlossen - aber das hätte ja noch werden können. Tatsächlich aber ist das ein Buch über die Geschichte der Mathematik bzw. der Informatik, in dem alles und jedes erwähnt, nirgendwo länger verweilt oder in die Tiefe gegangen wird. Wobei das so nun auch nicht stimmt: Denn es tauchen plötzlich Formeln auf zur Beweistheorie, zu den Gödelschen Sätzen oder dem Halteproblem Turings, die, wenn man sie nicht schon kennt, bestenfalls den Eindruck erwecken, dass da jemand mit seinem Wissen renommieren will. Auf einigen wenigen Seiten werden so Teile der Turingschen Dissertation dargestellt, als ob sie zum Wissensstand von Grundschülern gehörten und jeder über die subtileren Auslegungen ohnehin Bescheid weiß. (Bei Gödel läuft das ganz ähnlich ab ...)

Nun will ich Mainzer nicht unterstellen, dass er über die behandelten Themen nicht Bescheid weiß: Die Darstellung im Buch aber ist völlig unzureichend, sie ist weder für den Fachmann geeignet (dafür ist sie im Endeffekt viel zu kurz und oberflächlich gehalten) noch für den interessierten Laien, der eigentlich nur von der Existenz der Problem erfährt, hingegen nichts über ihre Entstehung und schon gar nichts über den Zusammenhang mit Big Data. Manchmal wollte mir das Ganze auch vom Fachlichen her zweifelhaft erscheinen: Wenn etwa Mainzer über den Zusammenhang von mathematischen Funktionen mit Funktionen im Bereich des Programmierens sich auslässt. (Die grob skizzierte Analogie trifft m. E. nur auf nicht objektorientierte Sprachen wie C zu, allerdings wurde nicht deutlich, ob sich der Autor auf maschinennahe oder eben höhere Programmiersprachen bezog.) Wie auch immer: Das Buch wirkt völlig unausgegoren und macht auf mich den Eindruck, als ob es unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte fertiggestellt werden müssen. Sehr, sehr schade, denn daraus hätte man wesentlich mehr machen können.

lg

orzifar

Nachtrag 1: Die Grundintention des Buches besteht im übrigen darin zu zeigen, dass trotz großer Datenmengen und immer besserer Rechnerleistungen, es einer Theorie bedarf, um Big Data auch wirklich für uns verfügbar zu machen. Erst die entsprechenden, theoriegestützten Algorithmen erzeugen Sinnhaftigkeit: Entsprechend der Natur aller Lebewesen, die ihre Umwelt ebenfalls selektiv wahrnehmen (müssen). Das ist nun aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Nachtrag 2: In einer Besprechung eines anderen Buches von Mainzer (Der kreative Zufall) auf amazon eines Gerhard Thiele lese ich folgendes: "Für wen ist das Buch geschrieben worden? Angeblich braucht der Leser keine Vorkenntnisse aus der Mathematik oder Physik, trotzdem wimmelt es von mathematischen Symbolen und Begriffen, die nur unzulänglich definiert bleiben. Selbst dem Erfahrenen ist nicht immer sofort klar worauf der Autor eigentlich hinaus will. Zu allem Überfluß werden an verschiedenen Stellen in besonderem Layout vertiefende Erklärungen gegeben, die für den nicht Eingeweihten noch unverständlicher wirken müssen. Warum hat man diese nicht in einem Anhang und dort dann mathematisch sauber abgehandelt? Zum Beispiel Boltzmanns H-Funktion: 'Mathematisch ist HB der Durchschnitt des Logarithmus der Verteilungsfunktion, den man durch Integration über die Geschwindigkeiten erhält.' Wer soll einen solchen Satz verstehen? Es sei denn er stammt aus einem Lehrbuch in dem dann die mathematische Beweisführung folgt." Genau das kann man auch über fast alle Kapitel des vorliegenden Buches sagen: Ein Paradebeispiel dafür, wie man etwas nicht darstellen sollte.
« Last Edit: 21. Januar 2016, 21.45 Uhr by orzifar »
Derzeitige Lektüre:

Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
John Irving: Owen Meany