Author Topic: Leszek Kolakowski: Die Philosophie des Positivismus  (Read 1490 times)

Offline orzifar

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Leszek Kolakowski: Die Philosophie des Positivismus
« on: 01. November 2013, 04.59 Uhr »
Hallo!

Eine inhaltliche wie historische Darstellung der positivistischen Philosophie bzw. jener Strömungen, die Kolakowski unter diesen Begriff subsummiert. Die Auswahl ist nicht völlig willkürlich, aber durch die Sichtweise des Autors bedingt: Eine Form der Subjektivität, die - weil im Buch begründet - nicht beanstandet werden kann.

Anderes aber sehr wohl: Sprachlich ist der Text ein einziges Desaster. Ob dies am polnischen Orignal liegt oder nur an der grauenhaften deutschen Übersetzung vermag ich nicht zu beurteilen. Offensichtlich aber ist, dass der Übersetzer mit seiner Aufgabe gänzlich überfordert war: Unverständliche Satzkonstrukte mit verschachtelten Nebensätzen, unzähligen Nennformgruppen (und damit bedingt auch einigen grammatikalischen Fehlern) sowie Fremdworterfindungen am laufenden Band (wie Rigoren, Mechanizismus oder Kontinuation) erschweren das Verständnis nicht unbeträchtlich. Wie auch immer der polnische Originaltext ausgesehen haben mag: Entweder er wurde völlig verunstaltet oder aber nicht so verbessert, dass das Ganze lesbar geworden wäre.

Inhaltlich ist vor allem der letzte Teil mehr als fragwürdig: Der logische Empirismus (Neopositivismus) wird teilweise völlig entstellt wiedergegeben, typisch auch, dass Karl Popper hier als logischer Positivst aufgeführt wird (während er selbst sich - lt. Autobiographie - für den "Mörder" desselben hielt). Hier hat Kolakowski ohne viel Nachdenkens die damals herrschende Meinung wiedergegeben, eine Meinung, die nicht unerheblich durch den "Positivismusstreit" bedingt war (auch dort wurden dem Kritischen Rationalismus jene positivistischen Standpunkte unterstellt, die Popper mit seiner "Logik der Forschung" zu bekämpfen sich vorgenommen hatte).

Aber es gibt auch überaus gelungene Kapitel: Jenes über die Nominalisten des Mittelalters, die Darstellungen von Spencer, Mill und Comte oder auch die Beschreibung der konventionalistischen oder pragmatischen Standpunkte. Schon aus dieser Aufzählung wird offenbar, dass der Autor den Begriff des positivistischen Denkens sehr weit fasst, immer aber in Übereinstimmung mit seiner grundsätzlichen Charakteristik: Phänomenalistische Grundhaltung, Primat des Nominalismus, Einheit der Wissensmethode und das Absprechen jeglichen Erkenntniswertes von normativen, wertenden Aussagen.

Und so bin ich bezüglich der Beurteilung des Buches zwiegespalten: Einerseits eine kenntnisreiche, auch originelle Aufbereitung positivistischen Gedankenguts, andererseits die oberflächliche Behandlung des Neoempirismus und - über allem - die phasenweise kaum erträgliche Sprache. Da es kaum Monographien über den Positivismus gibt, bleibt dem Interessierten allerdings nicht viel Wahl: Und er wird mit einigen gelungenen Kapiteln belohnt.

lg

orzifar
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