Author Topic: Paul Nizon: Stolz  (Read 2245 times)

Offline orzifar

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Paul Nizon: Stolz
« on: 13. April 2012, 17.28 Uhr »
Hallo!

Nizon ist eigentlich Kunsthistoriker, darf aber mittlerweile als Schriftsteller auf eine beachtliche Zahl an Preisen zurückblicken. Warum dies so ist, hat sich mir aufgrund dieses Buches nicht erschlossen.

Stolz, der Protagonist des Romans befindet sich in einer permanenten existentiellen Krise; haltlos, zerrissen versucht er sich als Arbeiter, Student der Kunstgeschichte oder geht auf die Suche nach sexuellen Abenteuern. Er heiratet mehr-weniger zufällig eine Kommilitonin, wird Vater, bekommt ein Stipendium und somit die Möglichkeit, sich in dieser Welt bürgerlich einzurichten. Ein Aufenthalt in der Einsamkeit des Spessart soll ihm die jenes Maß an Zeit verschaffen, um seine Arbeit über van Gogh zu schreiben. Aber er bleibt antriebslos, die Begeisterung, mit der er vor den Werken des Malers gestanden hatte, will sich nicht mehr einstellen und schließlich stirbt er auf einem absurden Jagdausflug in der Schneeeinsamkeit.

Ich habe eine Seite in Nizons Tagebüchern gelesen, die sich mit der Beschreibung, Enstehung des Romans beschäftigt (der, wie man zuerst anzunehmen versucht ist, kein Jugendroman ist, war der Autor bei Erscheinen doch schon 45 Jahre alt). Und bin dort, neben recht unerträglicher Selbstgefälligkeit und Arroganz, auf einen Satz gestoßen, der für mich der Schlüssel dieses Romans ist: Nizon zeigte sich nämlich verwundert, dass er trotz glücklicher Umstände in seiner Lebenswelt einen so düsteren Roman habe schreiben können.

Das könnte nun tatsächlich zum Wundern Anlass geben, wenn denn dieser Roman düster wäre, depressiv, traurig - was auch immer. Aber er ist, von ganz wenigen Stellen abgesehen, ein steriles, langweiliges Kunstprodukt mit einer Figur, deren Ausgedachtheit und Unglaubwürdigkeit in jedem Satz evident wird. Genau so stellt sich der behagliche Bürger existentielle Probleme vor: Indem er eine konturlose Person feststellen lässt, dass er keinen Sinn im Leben erkennen kann, eine Person, die saft- und kraftlos einige gymnasiale Platitüden bezüglich der Sinnfindung äußert, der sich - natürlich - ein klein wenig für Kunst interessiert (Nizon hat die immer wieder zitierten Briefe van Goghs herausgegeben), und nach einigen (Über-)Lebensversuchen einen semisuizidalen Erfrierungstod erleidet.

Solche Bücher werden allenthalben gelobt, sie finden eine (meist jugendliche) Anhängerschaft, die ihre eigenen Probleme - mit Recht - in simplifizierender (Hesse-)Manier betrachtet und erst mit den Jahren zu erkennen gezwungen wird, dass es den Helden der Kindheit und Jugend an differenziertem Innenleben fehlt und auch die Welt jener Vereinfachung nicht genügt. Dass der Autor bei Erscheinen des Buches schon jenseits der 40 war, verstört; dass er alle Fehler dieses Buches, die fast tollpatschig anmutenden Existenznöte seines Protagonisten auch noch 25 Jahre später gutheißt, lässt auf mangelndes Kritikvermögen schließen - oder aber auch auf die schlichte Unfähigkeit, mediokre Romane als solche zu erkennen. Denn in diesem Buch ist fast alles billig: Die Krisen, die innere Leere, der konstruierte Tod am Ende, durch den sich der Schreiber auf simple Weise des Problems (des Lebens des Hauptdarstellers) entledigt. Im übrigen tut Nizon sich mit den Zitaten aus van Goghs Briefen keinen Gefallen: Hier wird der Unterschied zwischen ausgedachten, künstlichen und sterilen Lebenskrisen zu jener eines wirklich am Leben Leidenden allzu deutlich.

Fazit: Keinesfalls ein Buch, das Lust auf mehr macht. Nizon als das Paradebeispiel eines Autors, der zufrieden und selbstgefällig im Lehnstuhl sitzend seine Vorstellung einer schwierigen Existenz beschreibt. Ein adipöser Gourmand, der da meint, in seinem Geist all den Hunger der Welt in sich spüren zu können. Und herzhaft in die Schweinshaxe beißt.

lg

orzifar
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Offline sandhofer

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Re: Paul Nizon: Stolz
« Reply #1 on: 13. April 2012, 18.02 Uhr »
Hallo!

Obwohl es sich da um einen Landsmann von mir handelt, habe mich bisher immer irgendwie um ihn gedrückt. Zuerst, weil andere unter uns Studenten mehr galten; später dann, weil mir das Suhrkamp-Lektorat mit seiner verordneten Einheitsbrühe mit der Zeit auf den Keks ging. Scheint sich also wirklich um ein typisches Suhrkamp-Produkt zu handeln.

Grüsse

sandhofer
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus