Author Topic: Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski  (Read 1563 times)

Offline orzifar

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Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski
« on: 17. März 2014, 01.09 Uhr »
Hallo!

Ein weiterer Kehlmann - und mit Unterhaltungswert. Schnöseliger Feuilletonist - oder einer, der es mal werden möchte - macht sich auf zum Besuch beim ehemals berühmten Maler Kaminski, der noch Größen wie Matisse oder Picasso persönlich gekannt hat. Für Zöllner, den rückgratlosen Versager und Wichtigmacher, scheint dies die Chance seines Lebens: Diese Biographie soll ihm Türen öffnen, seiner Karriere jenen Kick geben, der ihn zu einem wohlverdienenden Star der Kunstszene machen wird. Aber trotz aller Intrige und Unverfrorenheit, mit der er sich an den uralten, erblindeten Mann heranmacht, läuft dieses Projekt schon bald in eine falsche Richtung: Kaminski scheint nicht ganz so senil wie erhofft, versteht es, seinen Kopf durchzusetzen, Zöllners Instrumentalisierung zu entgehen, hingegen seine eigenen Interessen zu wahren. So ist das Scheitern des Unternehmens vorprogrammiert, wenn auch der Schluss des Romans, des Schreiberlings eigentümliche Wandlung weg vom reinen Egoismus ein wenig seltsam und aufgesetzt wirkt.

Aber die Figur des Karrieristen ist gelungen, eine Mischung aus grenzenloser Arroganz und fast schon bedauernswerter Selbstüberschätzung, zur Kompensation eines auf ganzer Linie scheiternden Lebens dienend. Witzige Dialoge, die gut beobachtete Lächerlichkeit des Kunstbetriebes, die zur Schau getragene Ignoranz - das unterhält, macht Spaß. Trotzdem wirkt der Roman - vor allem gegen Ende - ein wenig schwerfällig: Das will sich nicht recht lösen, die Story verpappt, die Leichtigkeit des Erzählens geht verloren, sodass man den Eindruck gewinnt, dass den Autor mit zunehmender Dauer Kraft und Originalität verließen.

lg

orzifar
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