Hallo!
Ab den Jahren 67 und 68 beginnt Feyerabend sich immer stärker vom kritischen Rationalismus zu lösen (dass er später damit so gar nichts mehr zu tun haben wollte, war reines Wunschdenken). Dabei wirkt er oft wie ein kleiner Junge, der um jeden Preis Aufsässigkeit zeigen will, all das versucht für seine Philosophie zu vereinnahmen, was er zuvor abgelehnt hat. Wobei ihn Albert immer wieder dezent auf diese seine Manie aufmerksam macht, auf logische Fehler hinweist, die Unzulänglichkeit mancher Argumentation aufzeigt. Worauf Feyerabend (wie auch in manch anderen Stellungnahmen) erwidert, dass das Ganze so ernst nicht zu nehmen und vielmehr als Steckenpferd aufzufassen sei - auch, um manch andere etablierte Philsophen zu verärgern oder den akademischen Betrieb vor den Kopf zu stoßen. Allerdings muten seine anarchistischen Attitüden nicht weniger lächerlich an wie die revolutionären der Studenten jener Zeit (die er auch eine Zeitlang unterstützte, weniger aus Überzeugung denn aus Wunsch nach "Anderssein"). Nun mag das einer bei einem auf die 50 zugehenden Philosophen als erfrischend und junggeblieben bezeichnen, ebenso legitim aber scheint es, das Ganze als lächerlich und hochpubertär abzutun. Aufmerksamkeit um jeden Preis, Widerspruch um des Widerspruchs willen. Ein wenig erinnernd an Nietzsche (und weil gerade Thomas die "Fröhliche Wissenschaft" liest und bespricht: Es wundert mich sehr, dass Feyerabend nicht stärker auf diesen Denker Bezug nahm, sondern unbedingt Hegel, aber auch Lenin und Mao zu philosophischen Vorreitern machen wollte, ein Versuch, der nach den diversen, oft geistreich-witzigen Einwürfen Alberts, auch Feyerabend nicht mehr ganz ernst nehmen konnte).
Sowohl Nietzsche als auch Feyerabend scheinen unter einem veritablen Minderwertigkeitskomplex gelitten zu haben, unter einer Art Profilierungsneurose wie auch unter pubertär anmutendem Frauenverständnis (bei Nietzsche offenkundig, bei Feyerabend vielleicht durch seine Impotenz (Kriegsverletzung) verursacht). Wenigstens erscheinen alle Äußerungen über die "Weiber" bei den beiden Denkern so, als ob sie mit dem Testostoronschub ihrer Jugend nie wirklich fertig geworden wären.
Imponierend bei diesem Briefwechsel vor allem Albert, der trotz der Seltsamkeiten seines Freundes in philosophischer Hinsicht (die er dezidiert nicht teilte) nie einen Zweifel an der Freundschaft aufkommen ließ, der - tolerant, nachsichtig, oft humorvoll - die Seltsamkeiten akzeptierte und korrigierte (wobei dann Feyerabend gebetsmühlenartig wiederholte, dass es eben "so ernst damit" doch nicht sei). Allerdings muss sich jemand mit einer solchen Haltung es auch gefallen lassen, nirgendwo mehr ernst genommen zu werden. Denn wer sich bei Diskussionen im Zweifelsfall immer auf seine Nonchalance zurückzieht, wird - nicht weiter verwunderlich - bald der Beliebigkeit geziehen werden. Und das mit Recht.
lg
orzifar