Author Topic: Wilhelm Baum (Hrsg.): Paul Feyerabend - Hans Albert. Briefwechsel 1958 - 1971  (Read 2882 times)

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Hallo!

Dieser Briefwechsel hat nun meine Aufmerksamkeit gänzlich von der Russelschen Autobiographie abgezogen (die ja auch zu drei Viertel aus Briefen besteht). Lesenswert, äußerst lesenswert.

Feyerabend ist ja eine kuriose Person - und ich wollte nicht glauben, dass er so dumm ist wie etwa die Lektüre von "Erkenntnis für freie Menschen" vermuten lässt, auch sein Methodenzwang (den ich nebenher nochmal genauer lese) hat ja zwischendurch was berückend Einfältiges. Aber offenbar darf man alles so ernst nicht nehmen (wenngleich ich vermute, dass neben den durchaus akzeptablen Grundgedanken der gute Feyerabend - schon aus provokativer Neigung - ziemlich auf den Holzweg gekommen ist), wenigstens lassen seine Briefe auf einen Sinn für Humor und Sarkasmus schließen. Und sind teilweise auch witzig. Jedenfalls erschließt sich mir der "Methodenzwang" ein wenig anders nach dieser Lektüre.

Aber auch andere Bereiche sind unterhaltend: Etwa die Charakterisierungen anderer philosophischer Größen, des (offenkundig ein wenig dünnhäutigen) Popper, eines ("gar nicht so dummen"), aber doch ziemlich hermeneutisch-dialektisch verwirrten Habermas usf. Außerdem eine Art universitärer Zeitgeschichte über Besetzungsfragen an diversen Unis, die entsprechenden Seilschaften usf. Nebst einigen launigen Bemerkungen (Feyerabend etwa vermutet, dass die große Anerkennung, die die Phänomenologie in Berkeley erfährt, auf den übermäßigen LSD-Konsum der Studentenschaft zurückzuführen ist). Möglicherweise hat er nicht ganz unrecht; zurück zu den Dingen meint Husserl - und tatsächlich kannte ich einen Phänomenologen, dessen einziges Sinnen und Trachten diesem seinem Ding gewidmet war. So kommt man also auch von der hohen und höchsten Philosophie zu durchaus Menschlichem und Trivialem. (Feyerabend scheint - so nebenbei - im Geschlechtlichen auch recht bewandert gewesen zu sein, ohne aber mit seinen diversen Ehen und Affären sehr glücklich zu werden. Nicht immer macht's die große Zahl ...)

Jedenfalls ist das Buch (Bd 1 von zwei Bänden) eine Empfehlung wert - und ich bin froh, von den insgesamt rund 600 Seiten erst 120 gelesen zu haben.

lg

orzifar
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Offline orzifar

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Hallo!

Ab den Jahren 67 und 68 beginnt Feyerabend sich immer stärker vom kritischen Rationalismus zu lösen (dass er später damit so gar nichts mehr zu tun haben wollte, war reines Wunschdenken). Dabei wirkt er oft wie ein kleiner Junge, der um jeden Preis Aufsässigkeit zeigen will, all das versucht für seine Philosophie zu vereinnahmen, was er zuvor abgelehnt hat. Wobei ihn Albert immer wieder dezent auf diese seine Manie aufmerksam macht, auf logische Fehler hinweist, die Unzulänglichkeit mancher Argumentation aufzeigt. Worauf Feyerabend (wie auch in manch anderen Stellungnahmen) erwidert, dass das Ganze so ernst nicht zu nehmen und vielmehr als Steckenpferd aufzufassen sei - auch, um manch andere etablierte Philsophen zu verärgern oder den akademischen Betrieb vor den Kopf zu stoßen. Allerdings muten seine anarchistischen Attitüden nicht weniger lächerlich an wie die revolutionären der Studenten jener Zeit (die er auch eine Zeitlang unterstützte, weniger aus Überzeugung denn aus Wunsch nach "Anderssein"). Nun mag das einer bei einem auf die 50 zugehenden Philosophen als erfrischend und junggeblieben bezeichnen, ebenso legitim aber scheint es, das Ganze als lächerlich und hochpubertär abzutun. Aufmerksamkeit um jeden Preis, Widerspruch um des Widerspruchs willen. Ein wenig erinnernd an Nietzsche (und weil gerade Thomas die "Fröhliche Wissenschaft" liest und bespricht: Es wundert mich sehr, dass Feyerabend nicht stärker auf diesen Denker Bezug nahm, sondern unbedingt Hegel, aber auch Lenin und Mao zu philosophischen Vorreitern machen wollte, ein Versuch, der nach den diversen, oft geistreich-witzigen Einwürfen Alberts, auch Feyerabend nicht mehr ganz ernst nehmen konnte).

Sowohl Nietzsche als auch Feyerabend scheinen unter einem veritablen Minderwertigkeitskomplex gelitten zu haben, unter einer Art Profilierungsneurose wie auch unter pubertär anmutendem Frauenverständnis (bei Nietzsche offenkundig, bei Feyerabend vielleicht durch seine Impotenz (Kriegsverletzung) verursacht). Wenigstens erscheinen alle Äußerungen über die "Weiber" bei den beiden Denkern so, als ob sie mit dem Testostoronschub ihrer Jugend nie wirklich fertig geworden wären.

Imponierend bei diesem Briefwechsel vor allem Albert, der trotz der Seltsamkeiten seines Freundes in philosophischer Hinsicht (die er dezidiert nicht teilte) nie einen Zweifel an der Freundschaft aufkommen ließ, der - tolerant, nachsichtig, oft humorvoll - die Seltsamkeiten akzeptierte und korrigierte (wobei dann Feyerabend gebetsmühlenartig wiederholte, dass es eben "so ernst damit" doch nicht sei). Allerdings muss sich jemand mit einer solchen Haltung es auch gefallen lassen, nirgendwo mehr ernst genommen zu werden. Denn wer sich bei Diskussionen im Zweifelsfall immer auf seine Nonchalance zurückzieht, wird - nicht weiter verwunderlich - bald der Beliebigkeit geziehen werden. Und das mit Recht.

lg

orzifar
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Offline orzifar

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Hallo!

Albert erscheint mir nun in einem anderen Licht: Er dürfte denn doch weniger verbissen als vermutet (gewesen) sein, humorvoller, toleranter. Seine Freude an Auseinandersetzung (vor allem mit Theologen und der Frankfurter Schule) kam wohl von Herzen, wenn auch nicht immer für mich (vor allem was die Theologen, etwa Ebeling oder Küng anbelangt) nachvollziehbar. Und über verschiedene Dummheiten Feyerabends sieht er generös hinweg - und dies stellt sich zumeist als klug heraus: Denn schon bald sieht Feyerabend ein, dass er mit vielen seiner Anwürfe über das Ziel hinausgeschossen hat.

Der Tod von I. Lakatos (1974) verändert auf einige Zeit die Art des Schreibens: Beide werden sich wohl dessen bewusst, wie unwichtig und belanglos all diese Streitereien angesichts solcher Ereignisse (die auf jeden warten) werden. Beide arbeiten und lesen wie die Berserker (auch wenn Feyerabend sich oft als einen faulen Nichtstuer bezeichneit: Seine Literaturlisten, Artikel etc. sprechen eine ganz andere Sprache). Aber bei beiden wird auch offenkundig, dass es ihnen vor allem Spaß macht, sich mit Philosophischem, Wissenschaftstheoretischem, Soziologischem herumzuschlagen (auch wenn diese "Arbeit" oft beklagt wird).

Feyerabend als Mensch dürfte in erheblichem Maße anstrengend gewesen sein: Extrem unzuverlässig, ständig in Affären verwickelt, zumeist mit einem anzüglichen Ton in seinen Briefen. Nun, nicht weiter schlimm und keineswegs ein Grund für Prüderie: Nur wäre mir das Ausmaß denn doch zu viel gewesen. Es gibt diesen Typus Mensch, der nicht immer genau weiß, wann der immergleiche (oder ähnliche) Scherz bzw. die Anzüglichkeit dann zwar nicht vor den Kopf stößt, hingegen aber einfach nur noch langweilig und ermüdend wirkt. Zu dieser Gruppe scheint er gehört zu haben. (So seine Berichte über zweibeinige blonde Wesen, langbeinige Schauspielerinnen etc. etc. etc.)

Vielleicht sollte ich noch mal die Autobiographie Alberts "In Kontroversen verstrickt" lesen, die mir bei der ersten Lektüre nicht wirklich gefallen hat. Mit dem Hintergrundwissen dieses umfangreichen Briefwechsels (möchte auch den mit Popper noch lesen) werde ich wohl manches anders sehen.

lg

orzifar
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