Author Topic: Charles Bukowski: Faktotum  (Read 2016 times)

Offline orzifar

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Charles Bukowski: Faktotum
« on: 07. Januar 2013, 21.21 Uhr »
Hallo!

Henry Chinaski scheint des öfteren als alter ego des Autors zu dienen. Inwieweit er ein glaubhafter Doppelgänger ist bleibt wie immer in solchen Fällen dahingestellt; allerdings spielt das für den Roman ohnehin keine Rolle.

Chinaski säuft und fickt sich durchs Leben, ist ständig auf Jobsuche, beschreibt im Verlauf des Buches etwa 50 verschiedene solche Stellen, schreibt nebenher Kurzgeschichten und ist, wie jeder dieser Autoren, verkannt. Und Chinaski/Bukowski macht reichlich vom Gossenvokabular Gebrauch, etwas, das heute kaum noch zu schockieren vermag und man mit Schulterzucken zur Kenntnis nimmt.

Wie im übrigen das ganze Buch. Ein wenig verquere Alkoholikerromantik, ein bisschen Machismo (indem sich begattungswillige Männchen aufs Maul hauen), viele Klischees, selten, sehr selten gelungene Beschreibungen. Vom Revolutionären, Anarchischen, das Bukowskis Bücher - vielleicht - einmal gehabt haben, bleibt nichts als die anzügliche Ausdrucksweise, man fühlt sich an Heranwachsende erinnert, die offenbar negativ konnotierte Wörter in Gegenwart Erwachsener auf deren Reaktion hin testen. Ich jedenfalls empfinde fundamentale Langeweile beim Lesen dieser Bücher (die glücklicherweise nicht allzu dick sind), ich finde sie aber auch misslungen, da sie die Realität trotz drastischer Darstellung zu einem Gutteil verkitschen.

Der Vergleich mit Jack Kerouac drängt sich auf: Und fällt zu seinen Gunsten aus. Kerouacs Protagonisten sind mehr als bloße Sauf- und Fickmaschinen, haben Schicksale, Gedanken, Geschichte. Und werden gerade dadurch greifbar. Während Bukowskis Figuren unpersönlich und oberflächlich bleiben, sich nur selten und ansatzweise über das erheben, was sich Klein-Maxi unter einer Unterwelt- und Saufklientel vorstellt.

lg

orzifar
Derzeitige Lektüre:

Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831 - 1933
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
Marshall Sahlins: Neue Wissenschaft des verwunschenen Universums. Eine Anthropologie fast der gesamten Menschheit
Mark Lilla: Der totgeglaubte Gott. Politik im Machtfeld der Religion.
Douglas Rushkoff: Survival of the Richest

Offline sandhofer

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Re: Charles Bukowski: Faktotum
« Reply #1 on: 08. Januar 2013, 18.31 Uhr »
Hallo!

"Post Office" war nicht ganz so übel - auch wenn ich nicht daran zweifle, dass es Dir auch nicht gefallen hätte. Ich sehe bei Bukowski eher Realismus als Romantik )auch eher Säuferrealismus als  Säuferromantik); aber ich kenne nur ein paar seiner Gedichte und "Post Office". Mag sein, dass letzteres sein einziger grösserer Wurf war. Ich stimme Dir aber zu, wenn Du Kerouac für besser hältst. ;)

Grüsse

sandhofer
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

Offline Gontscharow

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Re: Charles Bukowski: Faktotum
« Reply #2 on: 08. Januar 2013, 20.37 Uhr »

... aber ich kenne nur ein paar seiner Gedichte...


Wie bitte? ;D Du kennst mindestens 439  und damit annähernd alle seine mehr oder weniger lausigen Gedichte. Die haben wir hier vor ein oder zwei Jahren gemeinsam durchgeackert - schon vergessen?

Offline sandhofer

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Re: Charles Bukowski: Faktotum
« Reply #3 on: 08. Januar 2013, 21.25 Uhr »
Vergessen? Nein. Aber hat er wirklich nur 439 geschrieben? Ich dachte, es müssten ein paar Tausend sein ...  8)
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Offline Gontscharow

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Re: Charles Bukowski: Faktotum
« Reply #4 on: 09. Januar 2013, 15.55 Uhr »
Vergessen? Nein. Aber hat er wirklich nur 439 geschrieben? Ich dachte, es müssten ein paar Tausend sein ...  8)

Lass es Tausende sein - 439 sind trotzdem nicht "nur ein paar seiner Gedichte"! ;) Für mich jedenfalls  genug: seit unserer Rosskur habe ich keine Lust auf mehr auf sex and drugs a la Bukowski verspürt, obwohl mir die Gedichte bekanntlich weitaus besser gefallen haben als allen anderen Mitlesern.
« Last Edit: 09. Januar 2013, 16.21 Uhr by Gontscharow »