Author Topic: B. Traven: Das Totenschiff  (Read 3844 times)

Offline orzifar

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B. Traven: Das Totenschiff
« on: 12. August 2012, 19.29 Uhr »
Hallo!

Traven kannte ich bisher nur dem Namen nach und aufgrund seiner abenteuerlichen, nicht ganz aufgeklärten Lebensgeschichte. Ich hielt ihn für einen Erzähler von Abenteuer-, Seemannsgeschichten, was er aber nur sehr eingeschränkt ist. Viel wichtiger ist ihm die Sozialkritik, die Kritik am Staat an sich, an der Bürokratie. Seine Helden sind Ausgestoßene, Flüchtlinge; Gestrandete des ersten Weltkrieges, ohne Nationalität, ohne Identität und dadurch völlig rechtlos. Vergleichbar mit jenen Heerscharen von afrikanischen Flüchtlingen, die, sofern sie nicht schon vorher im Mittelmeer jämmerlich ersaufen, schließlich hier in Europa irgendwo ein Leben auf Abruf führen, ein ebenfalls identitätsloses Leben, denn die wahre Identität einzugestehen wäre häufig gleichbedeutend mit der Abschiebung. Da man nach der Genfer Flüchtlingskonvention zwar vor politischer, religiöser Diskriminierung flüchten darf, allerdings nicht vor dem Verhungern. Letzteres wird mit "ökonomischen Gründen" umschrieben, Gründen, die für den Betreffenden durchaus Gewicht haben (wer verhungert schon gern), die aber - aus wiederum ökonomischen Gründen - von den anderen nicht anerkannt werden. Verhungern ist völkerrechtlich durchaus erlaubt.

Die Sprache Travens erinnert an Remarque, auch an Celine; sie wirkt aber ein wenig nachlässig, schlampig, ungenau. Inwieweit sich das in anderen Büchern Travens ändert (die nicht innerhalb von Wochen vom Englischen ins Deutsche umgeschrieben wurden), vermag ich nicht zu beurteilen. Diesbezüglich hätte ein wenig Feinschliff dem Buch recht gutgetan. Trotzdem ist dies eine beeindruckende, verstörende Schilderung des Elends jener Personen, die durch die Zufälligkeiten der Weltgeschichte aus ihrem Leben in die Rechtlosigkeit geworfen wurden, erzählt in einem zynisch-fatalistischen Duktus, der durch die Ich-Form noch eingängiger wird. Besonders angenehm ist die Tatsache, dass man völlig von romantischen Unterschichtenklischees verschont wird, keine hochedle Verbrecherehre, unbedingte Solidarität unter Arbeitern, hehre Gesinnungen unter Verhungernden (so wie sich der brav-saturierte Bürger seine Außenseiter am liebsten vorstellt), sondern ungeschminkte Wirklichkeit, bar jeder Beschönigung.

Für mich war, da ich derlei nicht erwartet hatte, das Buch eine wirklich positive Überraschung. Kein Abenteuerroman, kein berührendes Arbeiterschicksal, sondern nackte Realität in ihrer grausamsten Form. Dazu die Unmenschlichkeit des Staates, dem die Einhaltung bürokratischer Vorschriften wichtiger ist als der Mensch. Travens Anarchismus ist auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen mehr als verständlich. Eine Empfehlung!

lg

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Offline sandhofer

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #1 on: 13. August 2012, 20.20 Uhr »
Ich hielt ihn für einen Erzähler von Abenteuer-, Seemannsgeschichten, was er aber nur sehr eingeschränkt ist. Viel wichtiger ist ihm die Sozialkritik, die Kritik am Staat an sich, an der Bürokratie. Seine Helden sind Ausgestoßene, Flüchtlinge; Gestrandete des ersten Weltkrieges, ohne Nationalität, ohne Identität und dadurch völlig rechtlos.

Traven ist (oder war) ja einer der Paradeautoren der Büchergilde. Die ja, wenn ich das richtig sehe, durchaus einen sozialistischen oder sozialdemokratischen Touch hatte und zum Teil noch hat. Insofern wundert mich das nicht. Allerdings hatte ich bisher nicht den Mut, einen Traven zu lesen ...
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Offline Gontscharow

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #2 on: 13. August 2012, 21.07 Uhr »

Traven ist (oder war) ja einer der Paradeautoren der Büchergilde.

Ja, und  in den 70ern und 80ern die präferierte Schullektüre linker Lehrer, das Totenschiff als Alternative zum Schimmelreiter oder der Schwarzen Spinne.

Offline orzifar

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #3 on: 14. August 2012, 01.40 Uhr »
Hallo,

interessant, was ihr da schreibt. Ich habe mich auch über Travens Leben ein wenig kundig gemacht ("Wilde Dichter" heißt der Sammelband versch. Biographien), wo Traven zwar als ursprünglich links, in weiterer Folge aber als konsequent anarchistisch und vor allem gegen jede Einmischung des Staates sich wendend dargestellt wird. Im Totenschiff gibt es eine Passage, wo er (aufgrund der Bürokratie) Deutschland und Russland als die schlimmsten Staaten der Welt bezeichnet. Und er weist auch immer ganz unverhohlen auf das Dümmliche und Falsche des Sozialismus/Kommunismus hin, weshalb ich diese Vereinnahmung einigermaßen amüsant finde. Sofern dieser Lebensbeschreibung zu trauen ist (und ich habe eigentlich keinen Grund, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln), hätte Traven diese Inanspruchnahme gar nicht goutiert.

lg

orzifar
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Offline sandhofer

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #4 on: 14. August 2012, 07.21 Uhr »
[...] hätte Traven diese Inanspruchnahme gar nicht goutiert.

Wahrscheinlich nicht. Wobei der Anarchismus immer gerne von links in Anspruch genommen wird ...
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Offline mombour

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #5 on: 14. August 2012, 13.32 Uhr »
in weiterer Folge aber als konsequent anarchistisch und vor allem gegen jede Einmischung des Staates sich wendend dargestellt wird. Im Totenschiff gibt es eine Passage, wo er (aufgrund der Bürokratie) Deutschland und Russland als die schlimmsten Staaten der Welt bezeichnet.
Das finde ich interessant. Ich lese gerade ein Buch über die Verrohung der Demokratie und über sozialer Kälte in der BRD. Offenbar fängt Politik dort an, wo Menschlichkeit aufhört. Wir können heute sehr gut sehen, wie Politik versagt, z.B. in Bezug auf Klimawandel, Rettung des Euro u.ä. Bisher habe ich von Traven nur "Die Baumwollpflücker" gelesen. Das ist auch ein Roman, der an Aktualität nichts eingebüßt hat. Aubeutung und so etwas ähnliches wie Leiharbeit. Dieses immer noch aktuell in Deutschland und z.Zt. von Traven hat es so etwas auch schon gegeben. Ich muss echt noch mehr lesen von Traven. Wovor Traven warnt, dadurch geht unsere Demokratie heute kaputt, wenn wir weiter schlafen (ich schreibe natürlich aus der Sicht eines Deutschen, nicht eines Österreichers oder Schweizers. Wie es dort bei euch ausschaut, weiß ich nicht). Politisch geht es in der BRD den Bach runter, anders kann ich unsere Politik gar nicht mehr wahhrnehmen. Politikverdrossenheit hin und her, aber ich weiß bald nicht mehr, was ich wählen soll.

Liebe Grüße
mombour
« Last Edit: 14. August 2012, 13.39 Uhr by mombour »
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Offline Sir Thomas

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #6 on: 14. August 2012, 16.50 Uhr »
Ich lese gerade ein Buch über die Verrohung der Demokratie und über sozialer Kälte in der BRD.

Verrätst Du bitte Autor und Titel? Und warum schreibst Du BRD (statt einfach Deutschland)? Ich dachte dieser Ostjargon sei obsolet ...  ;D

Offline mombour

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #7 on: 14. August 2012, 22.14 Uhr »
Das Buch ist z.Zt. in meiner Signatur verzeichnet.
Rudolph Bauer/Holdger Platta (hrsg): Kaltes Land - Gegen die Verrohung der Bundesrepublik - Für eine humane Demokratie, Laika-Verlag, 2012
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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #8 on: 15. August 2012, 07.43 Uhr »
Das Buch ist z.Zt. in meiner Signatur verzeichnet.
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Vielen Dank. Die Signatur wird nicht angezeigt, wenn man, so wie ich, über die Funktion "Neueste Beiträge anzeigen" einsteigt.

LG

Tom   

Offline sandhofer

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #9 on: 15. August 2012, 20.16 Uhr »
Vielen Dank. Die Signatur wird nicht angezeigt, wenn man, so wie ich, über die Funktion "Neueste Beiträge anzeigen" einsteigt.

Und man kann sie ja auch ändern. Sie ändert dann für alle Beiträge, nicht nur die neu hinzugefügten ...  ;)
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Offline orzifar

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #10 on: 15. August 2012, 21.07 Uhr »
Vielen Dank. Die Signatur wird nicht angezeigt, wenn man, so wie ich, über die Funktion "Neueste Beiträge anzeigen" einsteigt.

Und man kann sie ja auch ändern. Sie ändert dann für alle Beiträge, nicht nur die neu hinzugefügten ...  ;)

Ich vermute, Tom meinte, dass man bei einem Klick auf "Anzeigen der neuesten Beiträge" die letzten 10 dieser Beiträge ohne Signatur angezeicht bekommt. Daran ändert auch eine Änderung nichts.

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orzifar
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Offline sandhofer

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #11 on: 16. August 2012, 07.42 Uhr »
Vielen Dank. Die Signatur wird nicht angezeigt, wenn man, so wie ich, über die Funktion "Neueste Beiträge anzeigen" einsteigt.

Und man kann sie ja auch ändern. Sie ändert dann für alle Beiträge, nicht nur die neu hinzugefügten ...  ;)

Ich vermute, Tom meinte, dass man bei einem Klick auf "Anzeigen der neuesten Beiträge" die letzten 10 dieser Beiträge ohne Signatur angezeicht bekommt. Daran ändert auch eine Änderung nichts.

Ich war mal wieder zu kurz. Was ich meinte: Selbst wenn man sich die Signatur anzeigen lässt - jemand, der in einem halben Jahr den Beitrag liest, wird in der Signatur u.U. andere Bücher finden. Das Internet ist ein komisches Tier ...  ;)
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Offline Sir Thomas

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Re: B. Traven: Das Totenschiff
« Reply #12 on: 16. August 2012, 11.04 Uhr »
Ich vermute, Tom meinte, dass man bei einem Klick auf "Anzeigen der neuesten Beiträge" die letzten 10 dieser Beiträge ohne Signatur angezeicht bekommt. Daran ändert auch eine Änderung nichts.

Ja, das ist der erste Grund, warum ich mombour um Angabe von Autor und Titel gebeten habe.

Selbst wenn man sich die Signatur anzeigen lässt - jemand, der in einem halben Jahr den Beitrag liest, wird in der Signatur u.U. andere Bücher finden.

Und das der zweite.

LG

Tom