Hallo!
Traven kannte ich bisher nur dem Namen nach und aufgrund seiner abenteuerlichen, nicht ganz aufgeklärten Lebensgeschichte. Ich hielt ihn für einen Erzähler von Abenteuer-, Seemannsgeschichten, was er aber nur sehr eingeschränkt ist. Viel wichtiger ist ihm die Sozialkritik, die Kritik am Staat an sich, an der Bürokratie. Seine Helden sind Ausgestoßene, Flüchtlinge; Gestrandete des ersten Weltkrieges, ohne Nationalität, ohne Identität und dadurch völlig rechtlos. Vergleichbar mit jenen Heerscharen von afrikanischen Flüchtlingen, die, sofern sie nicht schon vorher im Mittelmeer jämmerlich ersaufen, schließlich hier in Europa irgendwo ein Leben auf Abruf führen, ein ebenfalls identitätsloses Leben, denn die wahre Identität einzugestehen wäre häufig gleichbedeutend mit der Abschiebung. Da man nach der Genfer Flüchtlingskonvention zwar vor politischer, religiöser Diskriminierung flüchten darf, allerdings nicht vor dem Verhungern. Letzteres wird mit "ökonomischen Gründen" umschrieben, Gründen, die für den Betreffenden durchaus Gewicht haben (wer verhungert schon gern), die aber - aus wiederum ökonomischen Gründen - von den anderen nicht anerkannt werden. Verhungern ist völkerrechtlich durchaus erlaubt.
Die Sprache Travens erinnert an Remarque, auch an Celine; sie wirkt aber ein wenig nachlässig, schlampig, ungenau. Inwieweit sich das in anderen Büchern Travens ändert (die nicht innerhalb von Wochen vom Englischen ins Deutsche umgeschrieben wurden), vermag ich nicht zu beurteilen. Diesbezüglich hätte ein wenig Feinschliff dem Buch recht gutgetan. Trotzdem ist dies eine beeindruckende, verstörende Schilderung des Elends jener Personen, die durch die Zufälligkeiten der Weltgeschichte aus ihrem Leben in die Rechtlosigkeit geworfen wurden, erzählt in einem zynisch-fatalistischen Duktus, der durch die Ich-Form noch eingängiger wird. Besonders angenehm ist die Tatsache, dass man völlig von romantischen Unterschichtenklischees verschont wird, keine hochedle Verbrecherehre, unbedingte Solidarität unter Arbeitern, hehre Gesinnungen unter Verhungernden (so wie sich der brav-saturierte Bürger seine Außenseiter am liebsten vorstellt), sondern ungeschminkte Wirklichkeit, bar jeder Beschönigung.
Für mich war, da ich derlei nicht erwartet hatte, das Buch eine wirklich positive Überraschung. Kein Abenteuerroman, kein berührendes Arbeiterschicksal, sondern nackte Realität in ihrer grausamsten Form. Dazu die Unmenschlichkeit des Staates, dem die Einhaltung bürokratischer Vorschriften wichtiger ist als der Mensch. Travens Anarchismus ist auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen mehr als verständlich. Eine Empfehlung!
lg
orzifar