Hallo!
Ginzburg erzählt in einfachen Sätzen, charakterisiert mit Floskeln und stehenden Wendungen die innerfamiliären Beziehungen, verweist auf Traditionen, die ebenso sprachlich reduziert zum Ausdruck kommen; sie erzählt in und von jener Sprache, die auch Liebespaaren zueigen ist: Indem man Wendungen gebraucht, die nur innerhalb eines bestimmten Kreises ihre Bedeutung haben, die aber - in der Form wie bei Ginzburg wiedergegeben - im Leser Erinnerungen an das eigene Erleben, die eigene Vergangenheit evozieren.
Sprachlich scheinbar simplifizierend wird dies dadurch ein Buch von eindringlicher Genauigkeit, ohne alle Affekthascherei, immer darauf bedacht, wiederzugeben, abzubilden, nicht zu interpretieren oder zu erklären. Denn alle Interpretation und alle Erklärung stecken bereits in den so sparsam verwendeten Ausdrucksmitteln, hier ist keine Geschwätzigkeit mehr vonnöten, keine umständliche Charakterisierung des pater familias, der seine Lebendigkeit durch Schimpftiraden, Be- und Verurteilungen erhält - und zwischen dessen Engstirnigkeit und Stolz auch ohne explizite Erwähnung eine tiefe Menschlichkeit durchscheint.
Literatur, die sich selbst erklärt, geschwätzig, umständlich, selbstgefällig - ist zumeist schlechte Literatur. Der Charakter der Protagonisten erschließt sich mittelbar, ein Mensch in all seiner Differenziertheit darf nicht als solcher beschrieben werden, die charakterliche Vielfalt muss sich vielmehr aus in sich stimmigen, unzähligen kleinen Puzzleteilen ergeben. Das fällt umso leichter, je weniger ein Autor zu erfinden, zu fabulieren versucht, je mehr er sich der Beschreibung der Wirklichkeit in all ihren Nuancen widmet.
Daneben ist dies auch ein kulturhistorisches Panoptikum, eine Begegnung mit Berühmtheiten (wie Pavese), eine Begegnung mit der Geschichte, mit dem Faschismus Italiens, der Unterdrückung, Diskriminierung der Juden, mit Krieg und Tod. Aber auch in diesen Belangen: Nirgends bewusst eingesetzte Dramatik, pathetische Schicksale, erschütternde Tragödien - sondern viel mehr: Eine fast leidenschaftslos anmutende Berichterstattung, die durch ihre Schnörkellosigkeit, ihrem Mangel an Pathos umso mehr berührt. Ein sehr lesenswertes Buch!
lg
orzifar