Author Topic: Arkadi Babtschenko: Ein guter Ort zum Sterben  (Read 1638 times)

Offline orzifar

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Arkadi Babtschenko: Ein guter Ort zum Sterben
« on: 16. November 2012, 18.34 Uhr »
Hallo!

Bücher über den Krieg haben für den Mitteleuropäer zumeist historische Dimensionen. Glücklicherweise. Obschon selbst hier Vorsicht geboten ist: Wäre ich 100 km weiter südlich geboren worden, hätte ich mich - weil damals im besten, kriegs- und sterbefähigen Alter befindlich - an den balkanesischen Schlächtereien beteiligen können (oder vielmehr müssen). Dass es derlei Auseinandersetzungen noch gibt erfährt der saturierte Bürger mittelbar: Tschetschenen, Afghanen, Iraker, Schwarzafrikaner als Asylwerber, wenngleich deren Not und Bedürftigkeit angezweifelt wird.

Babtschenko nun gibt ein eindrucksvolles Bild jenes Krieges, der mittlerweile vergessen ist: Zu abgelegen, zu wenig spektakulär, zu wenig Bodenschätze. Man verteidigt Europa am Hindukusch, aber nicht in Tschetschenien. Der Autor wurde erstmals 1995 einberufen, nochmals 2000, als die Auseinandersetzungen eskalierten. Aber schon vom ersten Krieg stellt er fest, dass er nie mehr zurückgekommen sei, dass es da etwas Unvergessliches, Unbeschreibliches gäbe, dass den Menschen, den Kriegsteilnehmer für immer ändere und ihn für die Zivilgesellschaft als unbrauchbar zurückließe.

Nur wenige Tage, kurze Kampfhandlungen werden beschrieben, unpathetisch, aber umso eindrucksvoller. Soldatenalltag in seiner Unerträglichkeit, Banalität, Grausamkeit, der einzelne reduziert auf biologische Funktionen zwischen Essen und Überleben wollen. Manchmal eine sich wehrende Psyche, Durchdrehen, dann wieder Leere, nichts als Vegetieren. Und zwischendurch immer wieder die Frage: Was, was zum Teufel mach' ich hier? Was geht mich dieses Land an, dieser fremde Himmel, die unbekannten Menschen?

Der Krieg ändert alles, es gibt kein zurück mehr. Fast alle Kämpfer des zweiten Tschetschenienkrieges waren bereits im ersten, sie kamem zum Krieg zurück, weil für sie das andere Leben verloren war. Stille Stunden, in denen die Angst, die Depression, die Erinnerungen wiederkommen, Erinnerungen, die unfähig machen, dieses zivile Dasein zu leben. Die Zerstörung des Menschen für alles Menschliche, das Unauschlöschliche, Unvergessliche darzustellen ist Babtschenko eindrucksvoll gelungen, ein Kriegsbuch, das es wert ist, gelesen zu werden, das bedauerlicherweise immer noch und immer wieder geschrieben werden kann.

lg

orzifar
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Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens
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Offline sandhofer

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Re: Arkadi Babtschenko: Ein guter Ort zum Sterben
« Reply #1 on: 17. November 2012, 15.47 Uhr »
Hallo!

ein Kriegsbuch, das es wert ist, gelesen zu werden,

Ich glaube Dir aufs Wort, aber, um ehrlich zu sein, kann ich so etwas nicht lesen. Allzu deprimierend.

Grüsse

sandhofer
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus