Hallo!
Wissenschaftsgeschichten, die außereuropäische Entwicklungen betrachten, könnten von großem Interesse sein: Allerdings ergehen sie sich zumeist in Aufzählungen der verschiedenen Leistungen (und einer - berechtigten - Kritik des eurozentristischen Standpunktes), verstehen es aber nicht, diese Wissenschaft in ein philosophie- und sozialgeschichtliches Umfeld einzubetten. So auch bei Needham: Ich erfahre einiges über Wasserräder, anorganische Säuren oder Bergbau - alles erzählt zu dem Zwecke, den europäischen Alleinvertretungsanspruch in wissenschaftlicher Hinsicht zu desavouieren. Das nehme ich gerne zur Kenntnis, interessiert mich aber als bloßes Faktum nur bedingt: Das zugrunde liegende Denken zu analysieren, das Maß bzw. die Art von Rationlität, die diesen Erfindungen zugrunde liegt, die Form der Naturbetrachtung bzw. der Naturphilosophie, ihre Einbettung in mythologische oder philosophische Konzepte, das wäre es wert, erzählt zu werden. Hier aber wird man mit unzähligen chinesischen Namen konfrontiert, mit der Überlieferungsgeschichte, dem Streit um Prioritäten - aber die naturphilosophische, wissenschaftstheoretische Betrachtung fehlt fast völlig.
(Ähnliches habe ich auch bezüglich der arabischen Wissenschaftsgeschichte erlebt: Man listet unzählige Fakten auf, um eine einzige - ohnehin obsolete - Feststellung treffen zu können, jene, dass es auch außerhalb Europas großartige Leistungen gegeben hat.) Eine umfassende, wissenschaftstheoretisch und philosophisch fundierte Geschichte der Naturwissenschaft bleibt - für mich - ein Desiderat (wie ja auch die Rozanskijs Geschichte der antiken Wissenschaft kaum zu begeistern vermochte).
lg
orzifar