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Lektüren, Rezensionen => Bistro => Topic started by: sandhofer on 03. Januar 2011, 21.05 Uhr

Title: Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: sandhofer on 03. Januar 2011, 21.05 Uhr
und anderswo ...

Hallo!

Weil ich gerad in einem andern Forum mal wieder darüber gestolpert bin, dass ein Held mit privaten Problemen in einem Krimi so hochgelobt worden ist (eine Heldin im vorliegenden Fall, um genau zu sein, wie das ja sowieso Mode ist): Ich will, wenn ich denn schon sog. U-Literatur lese, keinen Helden mit einem psychischen Knacks. Ich will einen Old Shatterhand, der genau weiss, was gut und was böse ist, einen unfehlbaren und arroganten Sherlock Holmes oder Hercule Poirot mit ihrer unerreichbaren Intelligenz, einen John Carter, Gentleman of Virginia, der mit der blossen Faust doppelt so grosse grüne Marsmenschen umnieten kann. Wenn ich gebrochene Helden will, lese ich Jean Paul - der kann es nämlich besser als Wallander & Co. Und die Ermittlerin, die darunter leidet, dass sie als Kind vom Vater und später von ihrer Lebenspartnerin regelmässig vergewaltigt wurde, und die nun deswegen asozial und bindungsunfähig ist, ist mittlerweile derart zum Klischée degeneriert, dass ich den Macho Holmes bei weitem bevorzuge.

Ich glaube, ich werde eine Leserbriefkampagne lancieren.

Grüsse

sandhofer
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: wolves on 04. Januar 2011, 09.11 Uhr
Um welchen Krimi handelt es sich denn? Das hört sich ja ziemlich schräg an.

Ich lese ja immer wieder mal gerne einen spannenden Thriller oder Krimi. Wobei ich eine eigene Art der Definition von Spannung habe, wie ich immer wieder feststelle. So im Vergleich mit anderen Meinungen. Es muss mich unterhalten und ist einfach nur "Kopfkino", ohne jetzt den höchsten aller Ansprüche zu haben.

Schön, dass du mich wieder an Sherlock Holmes erinnerst! Ich habe die Romane als junge Erwachsene buchstäblich verschlungen.
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: Sir Thomas on 04. Januar 2011, 09.33 Uhr
Ich will, wenn ich denn schon sog. U-Literatur lese, keinen Helden mit einem psychischen Knacks.

Als besonders krass und deplaciert empfinde ich die Psychologisierung der Krimiunterhaltung im Fernsehen. In meiner Lieblingsserie "Tatort" gibt es fast nur noch bescheuerte Ermittler, deren Privatprobleme die Hälfte des Films ausmachen. Es ist ein Elend ...  :-[

Ich will Kommissar Schimanski wiederhaben! Sofort!!

LG

Tom

Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: sandhofer on 04. Januar 2011, 11.13 Uhr
Um welchen Krimi handelt es sich denn? Das hört sich ja ziemlich schräg an.

John Carter meinst Du? Das ist kein Krimi, sorry, der Titel des Threads ist irreführend. John Carter ist der Held eines Zwölfteilers von Edgar Rice Burroughs, dem Erfinder von Tarzan. Ist gute, alte Pulp-SF. Hierzulande praktisch unbekannt, in den USA kennt ihn jedes Kind. Under the Moons of Mars heisst der erste Band.
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: sandhofer on 09. Januar 2011, 17.10 Uhr
Liest da jemand meine Beiträge alldahier?  >:D

Gerade gefunden, in der online-Ausgabe der Süddeutschen:

Zum Thema Kriminalliteratur:

Der Gärtner war's - von Joachim Käppner.

Er trifft sich mit mir in der Meinung:

Die Klassiker des Genres sind längst Teil des literarischen Kanons: Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Friedrich Dürrenmatt, Georges Simenon. Der Krimi hat es also in die Literatur geschafft. Heute ist er auf dem besten Wege, sie wieder zu verlassen. Seit Jahren feiert er immer neue Erfolge bei den Lesern, er gehört zu den letzten Säulen, auf die der Buchhandel wirklich noch bauen kann. Daher die Sucht nach Nachschub, so geistlos dieser auch sein mag. Nun ist der Strom der Adepten, Nachahmer und Trittbrettfahrer zu einer Woge geworden, die das Genre mit sich fortspült, zurück in das Meer der Trivialität.
(Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kriminal-literatur-der-gaertner-wars-1.985071?)

Grüsse

sandhofer
der weiss, dass er zum Föjetong hätte gehen müssen ...  >:D

(Edit hat eine fehlende Klammer ergänzt)
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: orzifar on 10. Januar 2011, 01.41 Uhr
Hallo!

Als Nicht-Krimi-Konsument bzw. nur sehr selten Ausflüge in dieses Genre unternehmender Leser bin ich für eine eingehende Analyse nicht zuständig. Ich habe 1,2 Mankell gelesen - und mich, wie man an der Zahl hinter dem Komma sieht, beim zweiten Buch so sehr gelangweilt, dass ich darauf verzichtet habe, den Gärtner überführt zu sehen. Mir geht's da wie bei vielen "Genres": Sie sind mir prinzipiell egal, mich interessiert dasselbe überhaupt nicht sondern ausschließlich die Tatsache, ob der entsprechende SF-, Kriminal-, Wasweißich-Roman eine in meinen Augen ansprechende Unterhaltung darstellt. Dürrenmatt etwa las ich gern (würde aber dem "Versprechen" "Justiz" vorziehen).

Ansonsten scheinen die Krimis unter dem etwas krankhaften Bedürfnis zu leiden, sich anspruchsvoll geben zu wollen und liefern eben die entsprechenden Charaktere, wobei die versoffenen Inspektoren mit Beziehungsproblemen auch keine wirklichen Neuheiten sind. Das funktioniert, natürlich - ganz einfach dann, wenn's gut gemacht ist. Französische Filme haben das vorgemacht, da gab's Ermittler, die ebenso gebeutelt wie die gescholtenen Tatort-Kommissare durchs Drehbuch wankten - aber eben um genau jenes Gran gehaltvoller, besser als ihre deutschen Serienentsprechungen. (Hier liegt wahrscheinlich bereits ein Problem: Gute Massenproduktion ist halt fast ein Ding der Unmöglichkeit.)

Den ganzen Artikel fand ich - hm, billig. Wobei ich natürlich die zitierten Autoren gar nicht kenne, die Kritik mir aber populismusverdächtig erschien. Die meisten Krimis sind schlecht (mag ja sein, aber das kann ich von jedem Genre behaupten, ohne auch nur den Klappentext eines Buches gelesen zu haben), es gibt auch gute Bücher des Genres (welch Weisheit) und heute wird alles und jedes gedruckt um der Verkaufszahlen willen (ja ...). Die Fotomontage oben entsprach allerdings wieder dem "literaturkritischen" Inhalt: Frau Roche, die die Welt an ihren Körperöffnungen teilhaben und Ausscheidungen schnuppern ließ umrahmt von zwei alternden Wichtigmachern, die sich das Buch der Vorgenannten vielleicht aufs Klo mitnehmen ... Ja, wir von der SZ haben's mit der Literatur.

lg

orzifar

Und ja, sandhofer: Ich lese hier. Ich lese in diesem Forum alles ;).
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: mombour on 10. Januar 2011, 08.07 Uhr
Liest da jemand meine Beiträge alldahier?  >:D

Ich lese das schon, aber wie mein Vorgänger habe ich fast keine Krimierfahrung, abgesehen von Fernsehtatorten. Ich habe nur einen Chandler, nur einen Mickey Spillane gelesen nur eine Agatha Christi. Das war in meiner schönen Jugendzeit. Natürlich weiß doch jedes Kind, dass Patricia Cornwell oder Hammesfahr zur seichten Unterhaltungsindustrie gehort. Ich habe mir mal mit Begeisterung irgend so ein Buch von Petra Hammesfahr gekauft und nach ein paar Seiten in die unbewussten Jagdgründe meines Bewusstseins verschoben.

Was ganz anderes und viel besser ist "Kim Novak badete nie im See von Genezareth" von Håkan Nesser. Eine Jugendgeschichte, in der eine Kriminalhandlung eher nebenher abläuft. Ein sehr schöner Jugendroman, abseits von Schema F-Frauenmördern. Der Autor des Zeitungsartikels hat auch nichts von James Ellroy gelesen. Ich habe mal gelesen "White Jazz". Das ist schon so dargeboten wie hochliterarische Weltliteratur. Ja nehmt das Buch mal in die Hand. Es gibt eben durchaus gute Zeitgenossen, die sich von der Masse lanweiliger deutschsprachiger Zeitgenossen abheben, wie ein Unterschied zwischen Thomas Mann und "Mieses Karma", zumal auch Ellroy mit literarischen Techniken spielt, sodass Leser, die so Bücher von Cornwell oder Stieg Larsson lesen, sagen würden, das ist mir zu schwer. Also ich habe durchaus immer noch das Interesse, Ellroy zu lesen. Meine Lektüre iliegt schon sehr lange zurück.

Liebe Grüße
mombour
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: sandhofer on 10. Januar 2011, 19.35 Uhr
Ich lese hier. Ich lese in diesem Forum alles ;).

Ich lese das schon, [...]

Euch meinte ich ja auch nicht. Was ich sagen wollte: Ob da jemand von der SZ meine Beiträge liest. Immerhin war ich ein paar Tage früher da mit demselben Thema ...  ;D

Und - ja: Der Artikel übersieht meiner Meinung nach die Hauptsache. Warum ist Sherlock Holmes zum Klassiker geworden? Weil Doyle nur und ausschliesslich unterhalten wollte mit seinem Detektiv. Keine Aspiration auf Weltliteratur und Klassisches. Im Gegenteil: Doyle war ziemlich aufgebracht darüber, dass schon seine Zeitgenossen den Superdetektiv mehr schätzten als sein historisches Gedöns, das er für seine wirkliche Leistung hielt. Fazit: Klassiker schreiben sich nicht auf Befehl oder Wunsch des Autors. Im Gegenteil: Der Wunsch, einen Klassiker oder auch "nur" "Hochgebirgsliteratur" zu verfassen, wird im Fiasko enden. Vielleicht werden einen ein paar zeitgenössische Kritiker in den Himmel loben. Aber das taten sie auch damals mit Gustav Freytag. Oder Paul Heyse ...
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: sandhofer on 12. Januar 2011, 20.42 Uhr
Den ganzen Artikel fand ich - hm, billig. Wobei ich natürlich die zitierten Autoren gar nicht kenne, die Kritik mir aber populismusverdächtig erschien. Die meisten Krimis sind schlecht (mag ja sein, aber das kann ich von jedem Genre behaupten, ohne auch nur den Klappentext eines Buches gelesen zu haben), es gibt auch gute Bücher des Genres (welch Weisheit) und heute wird alles und jedes gedruckt um der Verkaufszahlen willen (ja ...).

Wobei Du ja auch die Begabung hast, einen Artikel auf seine Grundthesen einzudämpfen. Die dann meist wirklich recht banal sind. Ein bisschen differenzierter war's dann hier zwar schon; auch wenn ich zugebe, dass das Föjetong mein Liebling ebenfalls nicht ist. Terrible simplificateurs ...
Title: Re:Der gebrochene Held im Kriminalroman
Post by: orzifar on 13. Januar 2011, 00.11 Uhr
Wobei Du ja auch die Begabung hast, einen Artikel auf seine Grundthesen einzudämpfen. Die dann meist wirklich recht banal sind. Ein bisschen differenzierter war's dann hier zwar schon; auch wenn ich zugebe, dass das Föjetong mein Liebling ebenfalls nicht ist. Terrible simplificateurs ...

Nunja, da hast du schon recht mit deiner Kritik an meiner etwas vereinfachten Zusammenfassung, Simplifizierung eines ohnehin schon simplen Artikels. Aber es war halt wirklich wenig originell, was der Schreiberling da auftischte. U. a. ein Grund, weshalb ich im Feuilleton selten lese.

lg

orzifar